SRF News: Was genau verspricht sich Erdogan von diesem Sondergipfel?
Susanne Güsten: Heute verspricht er sich wahrscheinlich nicht mehr ganz so viel davon, wie er sich letzte Woche versprochen hat, als er den Gipfel einberufen hat, direkt nach der Verkündung durch die Amerikaner Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen.
Palästina ist immer ein Thema, das für sehr viel Empörung sorgt in der islamischen Welt.
Erdogan erhoffte sich, dass er getragen von der Welle dieser Empörung, die islamische Welt einigen könne.
Er hoffte, dass er sich an die Spitze einer geeinten islamischen Front stellen könne und damit gegen die USA Front machen könne. Aber jetzt, wo der Gipfel beginnt, sieht es nicht mehr danach aus, als ob ihm das gelingen wird.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Zum einen ist die Reaktion auf die amerikanische Entscheidung nicht so unisono ausgefallen in der islamischen Welt, wie die Türken sich das erhofft haben. Der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu sagte gestern auf einer Pressekonferenz, es gebe viele arabische Staaten, die sehr zurückhaltend reagiert hätten – die wohl kuschen würden gegenüber Amerika. Er ist also schon etwas verbittert.
Vor allem sieht man das an der Teilnahme in Istanbul.
Von den 48 Staaten, die nun tatsächlich Vertreter geschickt haben, haben nur die Hälfte ihre Stabsspitzen geschickt.
Eigentlich hatte Erdogan alle eingeladen.
Die Hälfte der Staaten, die überhaupt aufgekreuzt sind, haben niederrangigere Vertreter geschickt. Also nur Minister. Zum Beispiel Ägypten und die Arabischen Emirate haben nur die Aussenminister geschickt.
Am interessantesten: Saudi-Arabien, das fast am wichtigsten ist, haben nur den Minister für religiöse Angelegenheiten geschickt. Also schon fast ein Affront und eine Absage an eine geeinte Front unter der Führung der Türkei.
Die Palästinenser erhoffen sich, dass in der Schlusserklärung des Sondergipfels Palästina als Staat anerkannt wird und Ost-Jerusalem als seine Hauptstadt. Dazu wird es kaum kommen?
Das ist eine maximale Forderung, die kaum möglich ist. Inzwischen versuchen die Türken die Erwartungen zu dämpfen, die sie im Vorfeld geweckt haben. Eine Beraterin von Erdogan sagte im Vorfeld, man solle auch nicht all zu hart draufhauen. Man wolle den Friedensprozess nicht sabotieren. Wenn man zu stark reagiere, dann würde der Friedensprozess unmöglich.
Das war ganz klar schon ein Versuch, die Erwartungen einzudämmen, die man selber geweckt hat. Die Gräben sind einfach zu tief in der islamischen Welt. Der Streit um Katar, mit Saudi-Arabien und anderen auf der einen Seite und der Türkei auf der Seite Katars. Auch die Türkei und Ägypten verstehen sich zurzeit nicht all zu gut. Also das wird nicht möglich sein und das haben die Türken schon selber erkannt.
Geht es denn Erdogan wirklich um Israel, um den Nahen Osten? Geht es ihm nicht vielmehr darum, ein Zeichen gegen US-Präsident Trump zu setzen, mit dem er ja aus verschiedenen Gründen im Streit liegt?
Es geht wahrscheinlich um beides. Man kann Erdogan schon abnehmen, dass ihm das palästinensische Thema sehr am Herzen liegt, da empfindet er auch tief und stark.
Aber genau so tief und stark empfindet er gegenüber den USA, wo eben in den letzten Monaten die Beziehungen sehr schlecht geworden sind.
Die Amerikaner haben die Türken brüskiert indem sie die Kurden in Syrien unterstützten.
Das sitzt hier sehr, sehr tief. Weil diese selbe kurdische Organisation, bzw. ihre Schwesterorganisation, hier tagtäglich auf türkische Soldaten schiesst.
Weiter sitzt der von der Türkei vermutete Putschführer in den USA und kann nicht ausgeliefert werden. Die USA führen einen Prozess gegen einen Menschen, der in Korruptionsaffären mit Erdogan verstrickt sein soll.
Da ist sehr viel Bitternis, da sind sehr viele, tiefe Gräben. Und natürlich kommt Erdogan die Gelegenheit sehr recht, sich an die Spitze einer Erklärung gegen die USA zu stellen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.