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Gipfeltreffen in Albanien Albanien hofft auf baldige Aufnahme in die EU

32 Staats- und Regierungschefs treffen sich in Tirana zu einem Gipfel. Das weckt grosse Erwartungen bei der albanischen Bevölkerung.

Was wie eine reine Routineangelegenheit klingen mag, hat für die Region eine hohe Symbolkraft: Denn erstmals fand ein solcher Gipfel auf dem Balkan selbst statt, in der albanischen Hauptstadt Tirana. Gastfreundschaft ist ein wichtiger Teil der albanischen Kultur.

Nun ist erstmals in der Geschichte des Landes fast das ganze politische Europa zu Besuch. Tirana zeigt sich dementsprechend herausgeputzt: Alleen der albanischen Hauptstadt sind mit EU-Fahnen dekoriert und Porträts berühmter europäischer Persönlichkeiten wie Helmut Kohl säumen die Strassen. Es ist ein politisches Grossereignis, das viele mit Stolz und Genugtuung erfüllt.

Dieses historische Ereignis ist das Startsignal für Albanien und andere Westbalkanländer, dass der Zug in die EU endlich losfährt.
Autor: Michael Weichert Friedrich-Ebert-Stiftung in Tirana

Michael Weichert leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tirana. Die Stiftung steht der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nahe und versucht mit verschiedenen Projekten, die EU-Integration Albaniens voranzubringen. Er hält fest: «Genugtuung gibt es auch deswegen, weil man schon lange darauf wartet, dass man in die EU kommt. Dieses historische Ereignis ist das Startsignal für Albanien und andere Westbalkanländer, dass der Zug in die EU endlich losfährt.»

Viel Zustimmung zum EU-Beitritt

 Umfragen zeigen immer wieder, dass die Zustimmung für einen EU-Beitritt nirgends in der Region so hoch ist wie in Albanien. Die Erwartungen an das Treffen seien deshalb hoch, sagt Weichert. Denn mit einem möglichen EU-Beitritt sind grosse Hoffnungen verbunden. «Man erwartet mehr Sicherheit, mehr Perspektiven, mehr Arbeit. Das ist ein Zukunftsversprechen für eine bessere Zeit, die man sich vor allem in der Bevölkerung erhofft.»

Zwei Personen geben sich im Vordergrund die Hände und im Hintergrund stehen die EU-Staats- und Regierungschefs
Legende: Das Treffen weckt in Albanien und dem Westbalkan grosse Erwartungen. Keystone/AP Photo/Andreea Alexandru

Auch die Politik hat sich klar pro-europäisch positioniert: In den letzten Jahren hat das Land unter Edi Rama verschiedene Reformen angestossen. Experte Weichert hebt dabei vor allem die Justizreform hervor, die immer noch im Gange ist.

Dabei werden alle Richter und Staatsanwältinnen einer fachlichen Prüfung unterzogen. Zusätzlich werden ihre Finanzen kontrolliert: Wer unerklärbare Einkünfte aufweist oder Kontakt zu dubiosen Persönlichkeiten pflegt, wird aus dem Amt entfernt. Das betrifft bisher etwa die Hälfte aller untersuchten Personen. «Das ganze Justizsystem, das bekanntermassen korrupt war, wird auf neue Beine gestellt. Dieser Prozess dauert sehr viel länger, als man erwartet hat, aber das ist schon eine einzigartige Leistung», sagt Weichert.

 Rückschritte bei der Pressefreiheit

Neben Fortschritten gab es zuletzt aber auch Rückschritte, etwa bei der Pressefreiheit. «Reporter ohne Grenzen» sieht im Land ernsthafte Probleme und stellt vermehrt Einmischungsversuche durch die Politik fest. Ein anderes Problemfeld ist die Bekämpfung der organisierten Kriminalität.

Der Schritt weg von einer Kultur der informellen Regelungen hin zu einer mit festen Verfahren verbundenen Lebensweise ist eine grosse Herausforderung.
Autor: Michael Weichert Friedrich-Ebert-Stiftung in Tirana

Zudem wird in Albanien immer noch viel über informelle Strukturen geregelt – im privaten wie im öffentlichen Bereich. Das fördert die Korruption und ist in den Augen von Michael Weichert die grösste Herausforderung auf dem Weg in die EU. «Der Schritt weg von einer Kultur der informellen Regelungen aller möglichen öffentlichen und privaten Angelegenheiten hin zu einer normierten, mit festen Verfahren verbundenen Lebensweise ist eine grosse Herausforderung.»

 Bis zur Mitgliedschaft in der EU wird Albanien noch viel Geduld brauchen – Geduld, die viele Menschen im Land nicht mehr aufbringen wollen. Viele zieht es deshalb ins Ausland. Wie in anderen Staaten der Region verlassen vor allem junge Menschen aus Mangel an Perspektiven das Land. Umso wichtiger wäre daher eine klare Perspektive vonseiten der EU.

Echo der Zeit, 06.12.2022, 18 Uhr

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