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Glückskette in der Ukraine Das Massenlager in der Tanzschule

In der Ukraine sind Tausende geflüchtete Menschen in Schulen und Kindergärten untergebracht. Das funktioniert ganz ordentlich – auch dank Glückskette-Geldern. Doch im September möchten die Schulen wieder öffnen.

«Euro Dance Centre» steht über dem Eingang in den Keller. Es ist der Tanzclub einer Schule in der Stadt Ternopil. Wo normalerweise Schülerinnen und Schüler Tanzschritte vor raumhohen Spiegeln üben, sind jetzt 14 Personen in einem Massenlager untergebracht. Geschlafen wird in Betten, die das Schweizerische Rote Kreuz geliefert hat, finanziert mit Geldern der Glückskette. Der Kellerraum hat keine Fenster, die Luft ist stickig. Doch niemand beklagt sich. «Uns geht es gut hier unten. Wir bekommen zu essen. Man sorgt für uns. Oben im Erdgeschoss gibt es sogar einen Fernseher», sagt Oksana, die aus der Region Charkiw geflüchtet ist.

Die Köchinnen sind Lehrerinnen der Schule – eine von ihnen ist Olena Liven: «Das ist sicher nicht die schönste Art, die langen Sommerferien zu verbringen», sagt sie. «Aber jetzt müssen alle anpacken und unsere Arbeit wird sehr geschätzt».

Mit Glückskette-Geld hat das Rote Kreuz hier Waschmaschinen und Boiler angeschafft. Ein Drittel des Glückskette-Geldes wird in bar an die Geflüchteten ausbezahlt, denn die meisten haben derzeit kein Einkommen. Christopher Mehley vom Schweizerischen Roten Kreuz sagt «Ich weiss, das klingt fürchterlich, aber das alles ist nur ein Anfang. Die Frage für die Geflüchteten ist: Was kommt jetzt? Können sie jemals wieder zurück in ihre Heimat? Können sie ein neues Leben beginnen? Werden sie Arbeit und Wohnungen finden?»

Schlaf zu finden ist schwer

In der Turnhalle spielen Jugendliche aus der Nachbarschaft Basketball. Man könnte dabei den Krieg fast vergessen. Doch schon in der ersten Nacht werden wir von Sirenen geweckt. Ein Teil der Hotelgäste flüchtet in den Keller des benachbarten Theaters. Man wartet zwischen staubigen Theaterkulissen. Nach einer Stunde ist der Spuk vorbei und alle kehren wieder in ihre Betten zurück. Doch Schlaf zu finden, ist schwer.

Projekte der Glückskette

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Frau mit Kopfhörern vor dem Emblem der Schweizer Glückskette.
Legende: Keystone

Die Glückskette hat seit Kriegsbeginn am 24. Februar rund 125 Millionen Franken Spendengelder gesammelt. Davon hat sie bisher elf Millionen ausgegeben. Finanziert wurden damit 18 Projekte ihrer Partnerorganisationen: in der Ukraine (neun Projekte), in Polen (drei), Rumänien (drei) und Moldawien (drei). Ziel ist es 2022, Projekte mit einem Betrag von 34 Millionen Franken zu finanzieren, davon fünf Millionen in der Schweiz.

In ukrainischen Schulen wird seit Kriegsbeginn nicht mehr unterrichtet. Auch nicht in der Kunstgewerbeschule von Iwano-Frankiwsk. Das Studentenwohnheim ist mit Flüchtlingen belegt und auch in den Schulräumen stehen jetzt Betten. Hier leistet das Westschweizer Hilfswerk Medair mit Glückskette-Geldern und mit psychologischen Hilfsangeboten für die vielen traumatisierten Personen Unterstützung.

Kein Bargeld von der Glückskette

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Die ukrainische Regierung hat wiederholt klargemacht, dass sie lieber Bargeld hätte als Sachhilfe durch Hilfswerke. Für die Glückskette sei das keine Option, wie Glückskette-Sprecherin Judith Schuler erklärt: «Die Glückskette arbeitet grundsätzlich mit unseren Partnerorganisationen zusammen, die wir seit langer Zeit kennen und denen wir vertrauen. Sie müssen uns genau sagen, was sie mit diesen Beträgen machen», sagt Schuler. Die Organisationen müssten einen Projektantrag einreichen und so wüsste die Glückskette auch, was mit den Spendengeldern genau passiert. «Und das wird überprüft. Das ist eine Verantwortung, die wir den Schweizer Spendern gegenüber haben», so Schuler weiter.

Beeindruckend und berührend ist auch die grosse Solidarität der Einheimischen. Die Lehrerin Olena Liven sagt: «Wir sind froh, dass wir helfen können und unsere Arbeit wird hier sehr geschätzt.»

Was geschieht mit den Menschen, wenn die Schulen öffnen?

Die gute Nachricht ist: Viele, die hier temporär wohnten, sind schon wieder in ihre Heimatstädte- und -dörfer zurückgekehrt. Doch ein grosser Teil der Geflüchteten kann das noch nicht. Entweder, weil in ihrer Heimat noch Krieg ist oder weil ihre Wohnungen zerstört sind. Natalia Korostil, die Direktorin der Kunstgewerbeschule von Iwano-Frankiwsk, sagt: «Am 1. September möchten wir den Schulbetrieb wieder aufnehmen.» Doch sie ist sich bewusst, dass das schwierig wird. Ihre temporären Gäste dürften die Schulräume so schnell nicht räumen können.

Tagesschau 24.06.2022, 19:30 Uhr

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