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Grotesker US-Wahlkampf Wenn die Wählerschaft beim TV-Duell gezielt frustriert wird

Die chaotische erste Fernsehdebatte zwischen Präsident Donald Trump und seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden war keine Werbung für die Demokratie. Gerade die für die Demokraten wichtige jüngere und weniger konstante Wählerschaft sei definitiv nicht angesprochen worden, sagt die Politologin Sarah Wagner.

Sarah Wagner

Politologin

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Sarah Wagner ist USA-Expertin und stellvertretende Direktorin bei der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz in Kaiserslautern.

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SRF News: Was hat diese Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden gebracht?

Sarah Wagner: Ich muss betonen, dass es wirklich keine richtige Debatte war. Sie war geprägt von Lügen und Unterbrechungen des Präsidenten, der auch das demokratische System angegriffen hat. Die Regeln hat in erster Linie der Präsident verletzt. Es gab also keine substanzielle Debatte. Es wurden lediglich die bekannten Talking-Points hervorgebracht, die dann aber nicht intensiv diskutiert worden sind.

Könnte es sein, dass solche Debatten Wählerinnen und Wähler vom Wählen abhalten, weil es ihnen zu dumm wird?

Die Debatte von letzter Nacht war ganz sicher keine Werbung für die Demokratie. Das zeigte sich dann auch in den ersten Reaktionen und Kommentaren. Viele hat das Spektakel erneut frustriert, desillusioniert und zynisch werden lassen, was das politische System und den Wahlkampf in den USA betrifft. Viele schauten auch nicht bis zum Ende zu. Wobei die Biden-Kampagne zwar nach eigenen Angaben während der Debatte gute Spendeneinnahmen verzeichnet haben soll.

In einer Wahl, die in einigen umkämpften Staaten eng werden könnte, geht es um jede Stimme.

Also eine Art Demobilisierung durch Streit im Fernsehen?

So könnte man das formulieren. In einer Wahl, die laut Beobachtern in einigen umkämpften Staaten eng werden könnte, geht es um jede Stimme. Gerade junge Wähler und Nichtwähler sowie Wählergruppen, die nicht konstant wählen gehen, sind das Augenmerk der demokratischen Partei. Sie werden sich von dieser Debatte definitiv nicht angesprochen gefühlt haben.

Trump will demokratische Wähler und hier vor allem schwarze Wählerinnen und Wähler demobilisieren.

Könnte es sein, dass die Demokraten eher mobilisieren wollen, während Trump mit seiner Strategie demobilisieren will?

Das ist ein Teil. Die Trump-Kampagne will natürlich die eigenen Wähler und die eigene Basis mobilisieren. Er will zugleich demokratische Wähler und hier vor allem schwarze Wählerinnen und Wähler demobilisieren. Dieses Ziel war laut einer neuen Untersuchung bereits 2016 verfolgt worden.

Debattenkommission will Regeln ändern

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Der Veranstalter der Debatten hat angekündigt, für die zwei weiteren geplanten TV-Debatten Änderungen vorzunehmen.

Es habe sich gezeigt, dass es zusätzliche Struktur brauche, um eine besser geregelte Diskussion sicher-zustellen, erklärte die Kommission für Präsidentschaftsdebatten.

Was sich konkret ändern soll, teilt sie nicht mit. Die nächste Debatte zwischen Trump und Biden soll am 15. Oktober stattfinden.

Wie funktioniert diese strategische Demobilisierung genau?

Da gibt es ganz unterschiedliche Ansätze und Funktionsweisen. Beispielsweise, indem man Misstrauen ins demokratische System sät, was Trump ganz gut macht. Behaupten, dass es egal ist, wer wählt und dass die einzelne Stimme keinen Unterschied macht. Oder dass der Herausforderer eh keine Verbesserung der Lage bringen kann.

Die US-Wahlkampagnen haben enorme Datenmengen über die Lebensweise und die Verhaltensweisen von Wählerinnen und Wählern, womit die Werbeanzeigen ganz gezielt auf sie zugeschneidert werden können.

Kaum Demobilisierung in der Schweiz

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Legende: Keystone/Symbolbild

Werden auch in der Schweiz Leute aktiv vom Wählen abgeschreckt? Cloé Jans, Politologin am Forschungsinstitut GFS.Bern, sagt: «Eine Demobilisierungsstrategie geht sehr häufig mit negativem Campaigning einher. Und das ist in der Regel in der Schweiz nicht so der Stil, eine Demobilisierung an sich ist dementsprechend weniger häufig der Fall.»

Es gibt aber auch noch andere Gründe. «In den USA haben wir ein Zweiparteiensystem. Es ist relativ klar, wer der Gegner ist», so Jans. «In der Schweiz haben wir ein Mehrparteiensystem. Häufig stehen die Parteien im Vordergrund, die weniger Angriffsfläche bieten als eine einzelne Person.»

Die Schweiz unterscheidet sich auch, was die Beteiligung betrifft. «In den USA haben wir um die zwei Drittel der Wahlberechtigten, die auch tatsächlich teilnehmen. Da ist es vielleicht einfacher, ein bisschen versuchen, beim Gegner Leute abzusägen. Bei uns sind es in der Regel unter 50 Prozent der Personen, die teilnehmen. Da ist es oft lohnenswerter zu versuchen, mehr Leute an die Urne zu bringen, als von der Teilnahme abzuhalten.»

Es stehen noch zwei weitere Präsidentschaftsdebatten an. Was erwarten Sie davon?

Die zweite Debatte findet im sogenannten Townhall-Format statt. Dort können Wählerinnen und Wähler den Kandidaten selber Fragen stellen. Das dürfte interessanter werden als das reguläre TV-Debattenformat. Ich freue mich aber vor allem auf die Debatte zwischen den sehr unterschiedlichen Vize-Präsidentschaftskandidaten Mike Pence und Kamala Harris.

Das Gespräch führte Raphael Günther.

«Was geht, Amerika?» – Ein Nachrichten-Podcast zu den US-Wahlen

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In mehreren Folgen befasst sich der SRF-Podcast «Was geht, Amerika?» mit den wichtigsten Fragen zur US-Präsidentschaftswahl. Roger Aebli spricht mit USA-Korrespondentin Isabelle Jacobi. Zu hören: samstags im News Plus+ Podcast.

SRF 4 News, 30.09.2020, 19.50 Uhr ; 

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