Monatelang hat der Streit um die Grundrente die deutsche Regierung belastet. Nach unzähligen Verhandlungsstunden und parteipolitischem Taktieren haben sich die Spitzen der grossen Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD auf einen Kompromiss geeinigt. So sollen Geringverdiener ab 2021 einen Aufschlag auf ihre Rente bekommen, wenn sie mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Alex Krämer von der ARD hält das für einen wichtigen sozialpolitischen Schritt, aber nicht für einen Meilenstein.
SRF News: Was sind die wichtigsten Eckpunkte der Grundrente?
Alex Krämer: Es geht um eine Grundrente für alle, die lange in die Rentenversicherung eingezahlt haben, aber wenig verdient haben und deswegen eine niedrige Rente kriegen. Es wird geschaut, wie viel jemand verdient. Die Grenze liegt bei 1250 Euro. Man muss drunter liegen. Es wird alles miteingerechnet, also auch allfällige Miet- oder Zinseinnahmen. Kommt man auf weniger, gibt es einen Zuschlag auf die Rente. Das Vermögen bleibt dabei aussen vor. Das soll Geringverdiener, besonders Frauen, besserstellen.
Die SPD spricht von einem sozialpolitischen Meilenstein. Ist es das?
Das ist ein ziemlich grosses Wort. Aber es ist schon eine Veränderung im Sozialsystem. Bisher ist es so, dass die Rente sich komplett danach richtet, was man eingezahlt hat. Die Grundrente ist nun ein Weg, wie man für die, die lange eingezahlt haben, ein gewisses Rentenniveau sicherstellen kann. Deswegen ist es ein relativ grosser Schritt für das deutsche Rentensystem.
Mit der Einkommensprüfung profitieren jetzt statt rund drei Millionen nur anderthalb Millionen Menschen. Ist das für die SPD eine Niederlage?
Es ist eher ein Sieg für die SPD, weil man diese Lösung mit dem vergleichen muss, was im Koalitionsvertrag drin stand. Dort war die Rede von einer Bedürftigkeitsprüfung, die auch auf das Vermögen geschaut hätte.
Die Grundrente ist nun ein Weg, wie man für die, die lange eingezahlt haben, ein gewisses Rentenniveau sicherstellen kann.
Damit wären es wahrscheinlich nur 200'000 bis 300'000 Menschen gewesen, die von einer Grundrente profitiert hätten. Mit der Einkommensprüfung ist man bei anderthalb Millionen Menschen. Das geht ganz klar über das hinaus, was im Koalitionsvertrag vereinbart war, und zwar in Richtung der SPD.
Warum hat diese Grundrente in den vergangenen Monaten einen derartigen Streit zwischen den Koalitionspartnern ausgelöst?
Das hat mit den Versuchen der SPD zu tun, sich profilieren zu wollen. Was der zuständige Arbeitsminister von der SPD im Frühjahr vorgelegt hatte, ging weit über den Koalitionsvertrag hinaus. Er wollte eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung, also ohne Blick auf Einkommen und Vermögen.
Die Diskussion um die Grundrente hat sich auf beiden Seiten stark aufgeladen und ist zum Symbol für den Fortbestand der Grossen Koalition geworden.
So hätte man alle niedrigen Renten bei Leuten, die lange eingezahlt haben, erhöht. Das war eine gezielte Provokation. Deswegen hat sich die Diskussion um die Grundrente auf beiden Seiten stark aufgeladen und ist zum Symbol für den Fortbestand der Grossen Koalition geworden. Das ist etwas übertrieben.
Wie wichtig ist es für die Regierung, dass nun ein Kompromiss bereitliegt?
Es ist ausgesprochen wichtig für den Fortbestand dieser Koalition. Hätten sie es am Sonntagabend nicht hingekriegt, hätte ich gesagt: Jetzt wird es richtig eng. Den Umkehrschluss, dass die Grosse Koalition jetzt über den Berg sei, würde ich aber auch noch nicht ziehen. Denn das hängt davon ab, wie sich die Unionsgremien verhalten. Der Kompromiss muss noch durch den Vorstand und die Bundestagsfraktion. Und es ist nicht sicher, dass die SPD-Basis sagt, wir bleiben in der Koalition. Aber es ist deutlich wahrscheinlicher geworden.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.