Die USA und China überziehen sich gegenseitig mit Zöllen. Ein lachender dritter im Handelskonflikt ist Vietnam. Allein im ersten Quartal 2019 stiegen die Exporte in die USA um 40 Prozent. Doch nun räumt die Regierung in Hanoi ein, dass nicht alles mit rechten Dingen läuft. Der Etikettenschwindel zugunsten Chinas werde damit erstmals offiziell bestätigt, sagt der Journalist Mathias Peer.
SRF News: Wie funktioniert dieser Etikettenschwindel?
Matthias Peer: Das läuft offenbar ziemlich dreist: Waren aus China werden nur kurz über die Grenze nach Vietnam gebracht, neu deklariert und dann geht es schon weiter in die USA als vermeintlich vietnamesisches Produkt. Die vietnamesischen Behörden nennen mehrere konkrete Beispiele. Darunter Bauholz aus China, das in einer vietnamesischen Fabrik die Aufschrift «Made in Vietnam» bekam. Oder ein paar hundert chinesische Lautsprecher, die in Vietnam neu verpackt wurden. Jetzt sagt die Regierung, das Ansehen der vietnamesischen Wirtschaft sei dadurch in Gefahr.
Wie systematisch wird betrogen?
Gesicherte Zahlen gibt es nicht, weil den Behörden nicht alle Tricksereien auffallen. Wegen ein paar schwarzen Schafen würde die Regierung das für sie unangenehme Thema wohl kaum auf die Agenda setzen. Die jetzt vorgelegte Liste der Produktkategorien mit den am häufigsten gefälschten Herkunftsangaben ist lang. Sie reicht von Textilien über Meeresfrüchte bis hin zu Agrarprodukten und Aluminium. Einen Hinweis, das Produkte nur einen längeren Umweg nehmen, gibt auch die Handelsstatistik: Die Exporte von Vietnam in die USA stiegen zum Jahresbeginn sehr stark an, ähnlich stark wie die Importe Vietnams aus China.
Warum hat Hanoi den Etikettenschwindel gerade jetzt erstmals offiziell bestätigt?
Vietnams Regierung befürchtet, Ziel von noch viel mehr und viel grösseren US-Strafen zu werden. Vietnam hat da bereits Erfahrung. Beim letzten Mal ging es um Anti-Dumping-Zölle auf chinesischem Stahl, die bereits 2015 verhängt wurden. Weil der Stahl über Vietnam nach Amerika geschickt wurde, erhoben die USA Zölle auf vietnamesischem Stahl. Dass das jetzt nochmals mit einer viel grösseren Produktepalette passiert, wollen die Vietnamesen um jeden Preis vermeiden.
Wie wollen die Vietnamesen vorgehen?
Das sind die Behörden noch nicht besonders konkret geworden. Der stellvertretende Regierungschef kündigte härtere Strafen an, um Nachahmer abzuschrecken. Ob das lückenlos funktioniert, darf bezweifelt werden. Denn es ist sehr schwierig, alle Warenströme zu kontrollieren.
Vietnam profitiert nicht nur mit den Umgehungsgeschäften vom Handelsstreit. In welchen Bereichen sonst noch.
Vietnam hat sich tatsächlich als Ausweichmöglichkeit Nummer eins im Handelskrieg etabliert. Es geht neben gefälschte Etiketten aber auch um handfeste Fabriken. Viele Unternehmen, die bisher in China produziert haben, etwa Zulieferer von Apple oder amerikanische Schuhhersteller, verlagern ihre Fertigung nach Vietnam, im Glauben, von den Zöllen sicher zu sein. Es entstehen Arbeitsplätze. Vietnams Bevölkerung gilt als gut ausgebildet, und die Löhne sind relativ gering. Ein kompletter Ersatz für China kann Vietnam natürlich nicht werden. Schon allein wegen der Grösse nicht, stehen doch 100 Millionen Vietnamesen gegen über eine Milliarde Chinesen.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.