Für sie ist das Coronavirus ein Segen: Über 300 Mafiosi konnten in den letzten Wochen ihre Gefängnisse in Italien verlassen und sitzen nun im Hausarrest. Es handelt sich um alte, schwerkranke Mafiosi, die zur Hochrisikogruppe gehören und die laut den Richtern in den überfüllten Gefängnissen in grosser Gefahr wären.
Wir können uns doch keinen Staat erlauben, der sich den Bedürfnissen der Mafia unterwirft.
Auch Cataldo Franco gehört zu jenen kranken, betagten Mafiosi, die nun nicht mehr hinter Gittern, sondern hinter einem Stubenfenster im Hausarrest sitzen. Cataldo Franco bekam lebenslänglich, weil er mitgeholfen hatte einen Knaben zu entführen, zu töten und in Säure aufzulösen. Es war ein grausamer Rachemord unter Mafiosi.
Scharfe Kritik an der Regierung
Dass Cataldo und mehrere Hundert andere alte und kranke Mafiosi wegen des Coronavirus nun im Hausarrest sind, hat die italienischen Oppositionsparteien in helle Aufruhr versetzt. Zum Beispiel Georgia Meloni von den postfaschistischen Brüdern Italiens. «Wir können uns doch keinen Staat erlauben, der sich den Bedürfnissen der Mafia unterwirft», sagt die prominente Oppositionspolitikerin.
Aber auch aus der Regierung selbst wird Kritik laut: Müsse man kranke Mafiosi wirklich nach Hause schicken, von wo aus sie womöglich erneut Verbrechen organisierten und steuerten? Wäre es nicht möglich gewesen, sie kollektiv in einem leeren, virenfreien und gut bewachten Hotel unterzubringen, wo diese Mafiosi sicher und gleichzeitig unter Kontrolle gewesen wären?
Justizminister will sie bald zurückschicken
Bohrende Fragen an die Adresse von Justizminister Alfonso Bonafede. Der Politiker der Cinque Stelle versucht nun verzweifelt zurückzurudern: Er wolle diese Mafiosi nun schnell wieder in ihre Zellen zurückschicken, versprach er im Parlament. Ob das den Justizminister retten wird, ist fraglich. Zu gross ist die Empörung im Land.
Wobei jene Bestimmungen, die die Heimkehr schwer kranker Häftlinge erlaubt, nicht von Bonafede stammt. Sie ist schon seit Jahren Teil des italienischen Rechts. Denn wegen der altbekannten schlimmen Zustände in italienischen Gefängnissen können Richter alte, besonders gefährdete Häftlinge in den Hausarrest versetzen.
Mafiajäger: «All das wäre vermeidbar gewesen»
Wollte man genau das verhindern, dann müsste Italien seine maroden Gefängnisse endlich sanieren. Das fordert Alfonso Sabella, einer der prominentesten Mafiajäger Italiens. Doch passiert sei nur sehr wenig. Italien habe sich nie wirklich angestrengt, die chronische Überbelegung seiner Gefängnisse anzugehen, sagt Sabella.
Italien hat nur sehr wenig getan, um die Überbelegung der Gefängnisse zu reduzieren.
Tatsächlich wurde Italien vor sieben Jahren vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg wegen der üblen Zustände in seinen Gefängnissen verurteilt. Hätten die italienischen Regierungen – links wie rechts – dieses Urteil ernst genommen und die Gefängnisse saniert, dann wären heute alte und kranke Mafiosi gar nicht in Gefahr.
«All das wäre doch vermeidbar gewesen», sagt Staatsanwalt Sabella. Doch jetzt herrscht zuerst einmal Empörung. Wenn sich diese erst einmal gelegt hat, wird man die schlimme Lage in den Gefängnissen wohl rasch wieder vergessen.