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EU-Kommission geht mit Härte gegen Italien vor
Aus Echo der Zeit vom 25.10.2018. Bild: Imago
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Haushaltsstreit mit der EU «Rom zeigt Brüssel den Stinkefinger»

Italiens Regierung will Wahlkampfversprechen mit Neuverschuldung finanzieren. Brüssel interveniert. Gut so, meint Guntram Wolff von der renommierten Denkfabrik Bruegel.

Die italienische Regierung will trotz bestehender Schuldenlast die Neuverschuldung im kommenden Jahr auf 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung steigern. Nicht mit uns, sagt die EU-Kommission – obwohl die Defizitgrenze eigentlich bei drei Prozent liegt. Sie spricht von einer beispiellosen Verletzung der geltenden Richtlinien, die im Maastricht-Vertrag bzw. im EU-Stabilitätspakt festgehalten sind.

Das harte Vorgehen der EU-Kommission sei richtig, sagt Guntram Wolff, Direktor der einflussreichen europäischen Denkfabrik Bruegel. Man müsse Italien zeigen, dass es die Regeln nicht einfach ignorieren kann.

Guntram Wolff

Guntram Wolff

Direktor der Denkfabrik Bruegel

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Der Ökonom lehrte an der Universität Pittsburgh und der Université libre in Brüssel, bevor er Direktor von Bruegel wurde. Die Denkfabrik mit Sitz in Brüssel wurde 2004 gegründet.

SRF News: Wieso diese Härte gegenüber Italien? Bei Staaten wie Frankreich ist man wesentlicher flexibler, was die Einhaltung der Richtlinien angeht.

Guntram Wolff: Man ist bei Ländern wie Frankreich zwar flexibel. Das Entscheidende ist aber: Es gibt einen Dialog. Brüssel diskutiert aktiv mit Paris. Es gibt ein klares gemeinsames Verständnis über das Defizit und wie man versucht, die Volkswirtschaft zu reformieren.

Ich würde nicht sagen, dass der Stabilitätspakt gar nicht funktioniert. Die Regeln sind aber sehr fehlerhaft und schlecht ausgearbeitet.

Diese Kooperation gibt es aus Rom nicht. Italien und führende Politiker in Italien zeigen Brüssel den Stinkefinger. Das ist nicht nur politisch unschön. Es ist auch besorgniserregend, dass man zwar gemeinsam in einem Club ist, darin aber nicht mehr gemeinsam diskutiert, wie man seine Haushaltspolitik gestaltet.

Brüssel argumentiert, Europa sei darauf aufgebaut, dass jeder die gemeinsamen Regeln beachtet. Das Münchner Ifo-Institut stellt fest, dass die Defizitgrenze von drei Prozent schon in 165 Fällen gebrochen wurde.

Es gibt eine Währungsunion mit gemeinsamer Geldpolitik. Es wurde vereinbart, Haushalts- und Strukturpolitiken viel enger zu koordinieren und sich an gemeinsame Regeln zu halten. Das tut man nicht. Langfristig wird es in einer Währungsunion zum Problem werden, wenn jeder macht, was er will. Die einzelnen Länder werden aneinandergeraten.

Wenn Brüssel rote Briefe nach Rom schickt, ist es nicht so, dass das niemanden interessiert.

Insbesondere, wenn ein Land kurz davor ist, den Marktzugang zu verlieren. Der besagte Club kann nur funktionieren, wenn sich die Mitglieder koordinieren und sich zumindest offiziell an die grundlegenden Ideen halten. Auch mit Kompromissen.

Sie würden der NZZ also recht geben, wenn sie schreibt, der Stabilitätspakt sei ein Schönwetter-Instrument?

Ich würde nicht sagen, dass er gar nicht funktioniert. Die Regeln sind aber sehr fehlerhaft und schlecht ausgearbeitet. Sie müssen verbessert werden. Wenn es aber politisch kracht, kann der Stabilitätspakt als solcher relativ wenig ausrichten. Letztendlich geht es um souveräne nationale Entscheidungen. Der Stabilitätspakt hat aber doch eine gewisse Wirkung. Wenn Brüssel rote Briefe nach Rom schickt, ist es nicht so, dass das niemanden interessiert.

Viele Experten sagen, dass Italien einknicken und diszipliniert werden wird. Spätestens durch die Märkte – etwa durch immer höhere Risiko-Zuschläge auf Staatsanleihen. Wenn die Zinsen aber zu stark steigen, wird früher oder später der Ruf nach Hilfskrediten aus dem Euro-Krisenfonds laut.

Das Ganze ist extrem riskant. Eine Sorge ist, dass die politische Situation weiter eskaliert und keine Seite in irgendeiner Weise nachgeben will. Das würde zu einer immer grösseren Spannung auf den Finanzmärkten führen. Dann könnte das «Kippen» Italiens beschleunigen. Das wieder einzufangen, wird immer schwieriger. Politisch und wirtschaftlich, weil Italien in beiden Bereichen so bedeutend ist. Es wird gerade in Rom unterschätzt, wie riskant die Lage ist.

Matteo Salvini in Rom, 24.10.2018
Legende: Das Land wolle sich nicht mehr länger «dämlichen Regeln» unterwerfen, sagte der italienische Innenminister Matteo Salvini am Mittwoch. Nach Einlenken klingt das nicht. Keystone

Es ist nicht so, dass die politischen Mehrheiten in Deutschland, Frankreich und anderswo solide wären, wenn es darum geht, europäische Mittel zu nutzen, um Italien notfalls unter die Arme zu greifen. Umgekehrt halte ich es politisch für absolut undenkbar, dass ein echtes Hilfsprogramm von Italien selber gewünscht wird. Das Land hat genug eigene Leute mit Expertise in diesen Fragen. Es bleibt zu hoffen, dass es zu einer schnellen Deeskalation kommt und Italien den Haushalt an der ein oder anderen Stelle nachbessert. Ansonsten droht die Situation aus dem Ruder zu laufen.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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