Zum Inhalt springen

Hilfe für Bauern im Himalaya Mit künstlichen Gletschern gegen den Klimawandel

Den Klimawandel bekommen vor allem jene zu spüren, die in extremen Gebieten leben. Etwa die Bauern im Himalaya, im Norden Indiens.

Die Schneeschmelze veränderte sich dort in den letzten Jahrzehnten so dramatisch, dass zur Hauptanbauzeit im Frühling kaum Wasser fliesst.

Abhilfe sollen nun künstliche Gletscher schaffen, die im Winter Wasser speichern und im Frühling Wasser an die Felder in den Tälern abgeben. SRF-Korrespondent Thomas Gutersohn hat sich angeschaut, wie das geht.

Bauer Konchok mit Mütze und Daunenjacke
Legende: SRF / Thomas Gutersohn

Auf über 3500 Metern fällt das Gehen schwer. Die Luft ist dünn. Bauer Konchok stampft durch trockene, poröse Erde. Der Boden habe nicht genug Wasser, sagt der 80-Jährige. Um seinen Hals trägt er eine buddhistische Gebetskette.

Und über den Ohren, wie ein Stirnband, sitzt eine dicke Wollkappe. Es ist kalt. Kaum zu glauben, dass hier in Ladakh, dem nördlichsten Zipfel Indiens im Himalaya, überhaupt noch Landwirtschaft betrieben werden kann.

Konchok ist gerade dabei, den Stall auszumisten. Sein Hof zählt einen Esel, zwei Kühe und ein Kalb, ein paar Hühner – und eben das trockene Ackerland. Der Bauer hat sein ganzes Leben hier verbracht. Doch seit den Siebzigerjahren gebe es immer weniger, weniger und noch weniger Wasser, klagt er.

Bäume und Hügel im himalayischen Gebiet
Legende: SRF / Thomas Gutersohn

Dabei sei gerade jetzt Wasser nötig, im Frühling, in der Anbauzeit. Doch die Berge würden es erst im Sommer freigeben. Dann aber alles auf einmal. Immer wieder spricht er vom verheerenden Sommer 2010, als Schlammlawinen etwa 70 Dörfer in Ladakh beschädigten und über 250 Menschen das Leben kosteten.

Das Phänomen, das Bauer Konchok beschreibt, hat einen Namen: Klimawandel, sagt Rigzen Mingyur, ein Forscher in Ladakh. «Die Gletscher weiter oben schwinden. Das führt im Sommer zu Springfluten, wenn zum Beispiel Gletscherseen brechen.» Doch im Frühling fehle das Wasser, da mit dem Gletscherschwund auch die Wasserspeicher zurückgehen, sagt er.

Mann steht vor dem künstlichen Gletscher
Legende: SRF / Thomas Gutersohn

Er ist Teil eines kleinen Teams, das seit 2014 solche Wasserspeicher nicht weit von Bauer Konchoks Hof entfernt baut. Künstliche Gletscher nennt sie Rigzen Mingyur, und zeigt auf zwei etwa zwölf Meter hohe Eisberge, die mitten in der kargen Wüstenlandschaft stehen. Das Prinzip ist einfach: «Im Winter ist es sehr kalt in Ladakh: minus 25, minus 30 Grad. Da kann man keinen Anbau betreiben.» Das Wasser, welches dann von den Gletschern durch die Bäche rinnt, fliesse ungenutzt weiter, so der Forscher. «Wir zwacken etwas davon ab und versprühen es hier mit einem Wassersprinkler. Die kleinen Tröpfchen gefrieren sofort, Eis türmt sich auf: bis zu 25 Meter hoch», erklärt er.

Struktur des künstlichen Gletschers
Legende: SRF / Thomas Gutersohn

Drei Millionen Liter Wasser konnten so letztes Jahr gespeichert werden. Und was im Frühling mit diesem Wasserreservoir passiert, zeigt Rigzen Mingyur im Inneren eines solchen Eisbergs: Millionen von Wassertröpfchen kullern an den Eiszapfen hinunter in ein Wasserreservoir. Mehrere 1000 Liter pro Tag. Und weil diese künstlichen Gletscher sehr viel tiefer liegen als die natürlichen, schmelzen sie auch viel früher – im Frühling eben, erklärt Rigzen Mingyur.

Künstlicher Gletscher umgeben von Gestein
Legende: SRF / Thomas Gutersohn

Das soll den Bauern künftig Wasser für den Anbau geben. Im Moment ist das Projekt noch in der Pilotphase. Das Wasser wird in ein Probefeld mit 5000 Bäumen umgeleitet. Nächstes Jahr aber soll auch die Bauern in der Umgebung davon profitieren können. Der 80-jährige Konchok hofft sehr darauf. «Wenn diese künstlichen Gletscher einmal im Frühling statt im Sommer Wasser geben, dann ist das gut», sagt er, kratzt sich am Kopf und schaut noch etwas ungläubig zu den Eisbergen, bevor er sich wieder an die Arbeit im Stall macht.

Künstlicher Gletscher in der Landschaft
Legende: SRF / Thomas Gutersohn

Momentan kann er mit diesen beiden Eiskolossen mitten in der Wüste noch wenig anfangen. Genauso wenig wie mit dem Begriff Klimawandel. Doch der Bauer, der die Konsequenzen des Klimawandels eins zu eins miterlebt, findet seine eigene Erklärung für das, was mit seiner Umwelt passiert: «Die Menschen heute haben ein schlechtes Herz, sie sind rücksichtslos geworden. Das macht die Götter wütend. Deswegen geben sie uns kein Wasser mehr.»

Meistgelesene Artikel