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Historiker sieht Friedensära «Atomwaffen sind das Beste, was der Menschheit passieren konnte»

Das Wichtigste in Kürze

  • Laut dem britischen Magazin «Economist» schlafwandelt die Welt zurzeit in einen grossen Krieg hinein. Selbst ein Atomkrieg scheint auf einmal denkbar.
  • Die Befürchtungen sind derart gross, dass sie auch die wichtigste internationale Sicherheitskonferenz, die am Freitag in München beginnt, prägen werden.
  • Ganz und gar nicht einverstanden mit dem Horrorszenario ist Professor Martin van Creveld, einer der weltweit bekanntesten und provokantesten Militärhistoriker.

Nie in der Geschichte der Menschheit sei die Welt so sicher gewesen wie gerade jetzt, sagt der holländischstämmige israelische Militärhistoriker Martin van Creveld: «Nie zuvor sind pro Jahr gemessen an der Weltbevölkerung weniger Menschen im Krieg getötet worden.»

In einer atomwaffenfreien Welt würde ich Trump nicht trauen.
Autor: Martin van Creveld Militärhistoriker

Militärstrategen und Verteidigungspolitiker neigten fälschlicherweise zu Pessimismus. Ex-US-Aussenminister Henry Kissinger habe den Begriff geprägt, die Welt sei auf einer Achterbahn in die Katastrophe: «Wo ist diese Katastrophe? Ich sehe sie nicht.»

Gewiss, die Kriege in Syrien oder im Jemen seien grausam für die Betroffenen – bloss sie hätten nicht annähernd das Ausmass des Ersten oder des Zweiten Weltkriegs.

Martin van Creveld

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Van Creveld gehört zu den weltweit bekanntesten Militärhistorikern. In seinen Büchern widmet er sich hauptsächlich der Militärgeschichte und -strategie; daneben beschäftigte er sich u.a. mit politischer Geschichte, der Geschichte der USA und Israels. Van Creveld unterrichtete an zahlreichen zivilen und militärischen Strategieinstituten.

Atomwaffen als Garant für den Weltfrieden

Sobald Martin van Creveld sagt, wem oder was die vergleichsweise friedliche Welt zu verdanken sei, schlagen viele entsetzt die Hände vor dem Kopf zusammen. Seine Antwort lautet nämlich: den Atomwaffen. Doch van Creveld meint es ernst. Die Atomwaffe sei die einzige Waffengattung, die seit 1945 nie mehr eingesetzt wurde.

Und provokativ fügt er hinzu: «Atomwaffen sind das beste, was der Menschheit passieren konnte.» Ohne sie hätte es längst einen Dritten und Vierten Weltkrieg gegeben.

Unsicherheitsfaktor Trump

Der Militärhistoriker weiss natürlich, dass seine Aussagen auf Empörung stossen, gerade in Europa. Aber er bleibt dabei: Selbst in der Nordkorea-Krise seien Atombomben ein stabilisierendes Element. Das Problem sei weniger das nordkoreanische Regime.

Der grösste Unsicherheitsfaktor zurzeit sei US-Präsident Donald Trump. Van Creveld ist überzeugt: Bestünde nicht die Gefahr einer nuklearen Eskalation, hätte Trump bereits einen Krieg gegen Nordkorea vom Zaun gebrochen: «In einer atomwaffenfreien Welt würde ich Trump nicht trauen.»

Militärhistoriker – und Beststellerautor

Mehr als zwei Dutzend militärhistorische Werke hat der 71-jährige van Creveld bisher geschrieben. Einige wurden zu Bestsellern – erstaunlich in seinem Fach. In den USA ist er ein rarer Ausländer, dessen Werke Pflichtstoff sind für Offiziere. Er selber sieht sich, unbescheiden, als Erbe historischer Militärstrategen wie Carl von Clausewitz und des Chinesen Sun Tzu.

George W. Bushs Einmarsch in den Irak war der dümmste Krieg seit Kaiser Augustus' Schlacht im Teutoburger Wald.
Autor: Martin van Creveld Militärhistoriker

Kaum eine namhafte westliche Militärakademie an der van Creveld, der hauptsächlich an der Hebrew Universität in Jerusalem lehrte, nicht unterrichtete. Er beriet das Pentagon, viele weitere Verteidigungsministerien.

Was er sagt wird gehört, löst aber bisweilen heftige Reaktionen aus. Etwa, wenn er begründet, weshalb es aus iranischer Sicht völlig vernünftig ist, sich Atomwaffen zuzulegen. Wenn er in krassem Gegensatz zur Regierungspolitik rät, Israel solle die Westbank und den Gazastreifen sofort räumen, weil sie dem Land militärisch überhaupt nichts brächten, ganz im Gegenteil. Oder wenn er den George W. Bushs Einmarsch im Irak als dümmsten Krieg seit Kaiser Augustus' Schlacht im Teutoburger Wald bezeichnet.

Die Saturiertheit des Westens und der Aufstieg Chinas

Einen Entrüstungssturm erregte sein Werk «Pussycats» oder auf Deutsch «Wir Weicheier». Es kritisiert darin den wohlstandssatten Westen, der vor lauter Bequemlichkeit und Risikoabneigung nicht mehr bereit sei, sich selber und seine Werte zu verteidigen. Er ist entsprechend fest überzeugt, China werde schon bald die Supermacht sein – sofern das Reich der Mitte nicht auseinanderfalle.

Der Westen überlasst die Welt Russland und China auf dem Präsentierteller.
Autor: Martin van Creveld Militärhistoriker

Für seinen Aufstieg zur dominierenden Macht müsse Peking nicht mal einen grossen Krieg gegen die USA führen. Zwar werde es wohl Kriege geben, aber lokal begrenzte, etwa im südchinesischen Meer. Die USA und der Westen überhaupt seien ausserstande und vor allem nicht willens, dem chinesischen Vormachtsstreben Paroli zu bieten.

Chinesische Soldaten marschieren auf einer Trainingsbasis nahe der Mongolei (July 2017)
Legende: Der Westen laviert, China und Russland schaffen Fakten: Für van Creveld kristallisiert sich eine neue Weltordnung heraus. Reuters

Zwar bleibe die US-Armee auf dem Papier die stärkste der Welt und die Nato die grösste Militärallianz. Aber während in Peking und Moskau schnell, schlüssig und forsch entschieden werde, sei der Westen gespalten und gelähmt. Deswegen erreichten China und Russland zurzeit mit bescheidenen Mitteln sehr viel. Wir überliessen ihnen die Welt auf dem Präsentierteller.

Die Krim als kalkuliertes Abenteuer

«Die beiden Grossmächte gehen Risiken ein, aber bloss begrenzt», sagt van Creveld. Weder Russlands Besetzung der Krim noch sein Engagement in Syrien seien riskant gewesen – ebensowenig Chinas Vormarsch im südchinesischen Meer. Es war ziemlich klar: Der Westen würde sie gewähren lassen.

All das sei für uns zwar ärgerlich, doch eine Katastrophe sei es nicht. Vielmehr einfach der Lauf der Dinge, sagt van Creveld, ausnahmsweise völlig nüchtern, ohne jeden Anflug einer Provokation.

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