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Hitzige Mediendebatte Wann wird eine Tragödie zum Medienereignis?

Das Schicksal des im Nordatlantik verschollenen U-Boots Titan beschäftigt seit Tagen die Welt. Die Suche hat ein riesiges Medienecho ausgelöst. Als vor einer Woche Hunderte Menschen bei einem Bootsunglück vor der Küste Griechenlands ums Leben kamen, fiel die Berichterstattung aus der Sicht vieler zurückhaltender aus. Das sorgt in den Sozialen Medien und in der SRF-Community für Kritik. Die Einschätzungen mit einem Experten.

Daniel Süss

Professor für Medienpsychologie

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Daniel Süss ist Leiter des Psychologischen Instituts und Co-Leiter der Fachgruppe Medienpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Zürich. Einen Fokus legt er auf die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen.

SRF News: Wieso interessiert die Geschichte des verschollenen U-Boots so sehr?

Daniel Süss: Es kommen dabei verschiedene Faktoren zusammen. Auf der einen Seite ist die Vorstellung, in einem U-Boot festzustecken, albtraumhaft. Jeder kann sich ausmalen, wie schrecklich das wäre; wie hilflos man sich fühlen würde. Ausserdem ist es einfach nichts Alltägliches, dass ein U-Boot verschwindet – und noch dazu eines, das auf dem Weg zur Titanic war. Das löst unweigerlich Bilder in den Köpfen der Menschen aus.

Wie unterscheidet sie sich denn zum Schiffsunglück vor der Küste Griechenlands?

Man muss leider sagen, dass es nicht zum ersten Mal zu einem solch tragischen Unfall gekommen ist. Da hat auch eine Abstumpfung stattgefunden. Es braucht mittlerweile viel, damit solch tragische Ereignisse in Erinnerung bleiben. Mir kommt zum Beispiel das Bild des verstorbenen Jungen, dessen lebloser Körper vor einigen Jahren an Land gespült wurde, in den Sinn.

Jeder kann sich ausmalen, wie schrecklich es wäre, in einem U-Boot festzusitzen.

Viele verstört der Gegensatz. Es scheint, als dass sich das Publikum stärker mit den Abenteurern im Atlantik identifiziert als mit Migrantinnen und Migranten im Mittelmeer.

Eine schwierige Diskussion. Es ist wohl schon so, dass die Menschen auf der Flucht im Fall Griechenland von vielen als fremd angesehen werden. Beim Fall des U-Boots kann man aber auch das Gegenteil konstatieren: Die Geschichte interessiert wohl auch darum, weil die eingeschlossenen Personen sehr wohlhabend sind. Da spielen ähnliche Mechanismen, wie wenn berühmte Menschen krank werden. Ich denke nicht, dass es im Fall des U-Boots hauptsächlich um Identifikation geht.

Sondern?

Die Geschichte deckt einfach viele Nachrichtenfaktoren ab. Wie gesagt: Etwas, das häufig vorkommt, erregt grundsätzlich weniger Aufmerksamkeit. Der Fall der «Titan» bietet hingegen einen regelrechten Countdown-Faktor. Die Medien können die Suche visualisieren oder Hintergrundinformationen zum Tauchboot liefern.

Wie beurteilen Sie denn die aktuelle Berichterstattung?

Grundsätzlich müssen sich die Medien schon fragen, wo die Aufmerksamkeit mit ihrer Berichterstattung hingelenkt wird. Die Gefahr besteht, dass man die Relationen der Ereignisse aus den Augen verliert. Da sehe ich schon eine Gefahr, dass so den Menschen vermittelt wird, dass es sich dabei um ein besonders wichtiges Ereignis handelt.

Es hat eine Abstumpfung stattgefunden.

Wird die Kritik an der Berichterstattung etwas auslösen?

Solche Debatten lösen sicherlich auch interne Diskussionen in den Medienhäusern aus. Insofern kann das schon einen Einfluss haben. Man muss aber bedenken, dass diese auch in Konkurrenz zueinander stehen. Publiziert ein Medium neue Informationen oder gar einen Primeur, müssen die anderen nachziehen. Um auch in Zukunft Aufmerksamkeit für das Thema der Fluchtbewegungen über das Mittelmeer herzustellen, müssen die Redaktionen sicherstellen, dass sie nicht nur auf die Ereignisse fokussieren, sondern Zusammenhänge aufzeigen – beispielsweise die Schlepper-Kriminalität oder mögliche Lösungsvorschläge in den Herkunftsstaaten.

Das Gespräch führte Patrick McEvily.

10vor10, 21.06.2023, 21:50 Uhr ; 

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