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Hoffnung in Armenien «Paschinjan hat keine Verstrickungen mit Oligarchen»

In Armenien hat wie erwartet die Partei des grossen Hoffnungsträgers, Nikol Paschinjan, am meisten Stimmen gewonnen. Paschinjan selbst wird Minsterpräsident. Von ihm werde nun nichts weiter erwartet als ein besseres Leben fürs ganze Land, sagt SRF-Russlandkorrespondent David Nauer.

SRF News: Der neue Premierminister Nikol Paschinjan hat im Frühling wochenlang friedliche Massenproteste gegen Korruption und Vetternwirtschaft angeführt. Weshalb ist er so beliebt?

David Nauer: Sein Trumpf ist, dass er glaubwürdig wirkt. Die Leute in Armenien sagen: ‹Er ist ein ganz normaler Mensch oder eben ein ganz normaler Politiker. › Er hebt sich dadurch von der bisherigen Elite ab, die das Land viele Jahre regiert und ökonomisch ausgesaugt hat.

Das Land ist wie aus einer postsowjetischen Starre erwacht.

Paschinjan hat keinen geschäftlichen Hintergrund, er hat keine Verstrickungen mit irgendwelchen Oligarchen. Es gibt auch keine Korruptionsvorwürfe gegen ihn.

Was erwartet man von ihm?

Sehr viel. Die Leute wollen wirtschaftlichen Aufschwung, mehr Arbeitsplätze, besser bezahlte Arbeit, kurz gesagt, eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Sie wollen auch funktionierende Institutionen wie Polizei, Gerichte, staatliche Verwaltung und so weiter. Sie fordern gleiche Chancen für alle und ein Ende von Korruption und Vetternwirtschaft. Von Paschinjan wird nicht viel anderes erwartet als ein ganz neues Armenien.

Es dürfte sehr schwierig werden, aus diesem Land ein wirtschaftlich prosperierendes Land zu machen.

Schafft er das?

Zu Recht sagen viele Leute, dass Enttäuschung unvermeidbar sein wird. Die Bevölkerung will eine schnelle Verbesserung ihres Lebens, aber Armenien bleibt nun mal Armenien. Das Land ist strukturschwach. Es hat Konflikte mit den Nachbarn Türkei und Aserbaidschan. Die wichtigsten Teile der Wirtschaft werden von Russland kontrolliert. Es dürfte sehr schwierig werden, aus diesem Land ein wirtschaftlich prosperierendes Land zu machen. Dazu kommt, dass Paschinjans Reformprogramm bisher ziemlich unklar ist. In seinem Bündnis sind unterschiedliche Kräfte, sowohl eher wirtschaftsliberale Kräfte als auch eher linke Kräfte. Es wird nicht einfach, einen gemeinsamen Nenner zu finden und gegen die Probleme im Land zu kämpfen.

Nimmt die alte Garde alles einfach so hin?

Die republikanische Partei, die das Land sehr lange kontrolliert hat, ist so gut wie von der Bildfläche verschwunden. Sie zieht nicht einmal ins neue Parlament ein. Sie ist diskreditiert und unbeliebt. Sie hält sich im Moment zurück, weil sie schlicht und einfach gegen diese Begeisterung für Paschinjan im Volk nichts ausrichten kann.

Die Leute haben jetzt das Gefühl, dass die Elite nicht gottgegeben ist, sondern dass man sie auswechseln kann, wenn sie versagt hat.

Ist das ein Neuanfang für die ehemalige sowjetische Republik im Südkaukasus?

Es ist in der Tat ein Neuanfang, weil sich sehr viel verändert hat. Andererseits kann Paschinjan scheitern und wird wahrscheinlich viele Erwartungen enttäuschen müssen. Dann werden die Leute in einem halben Jahr oder in einem Jahr in zwei Jahren sagen, es sei alles so wie vorher. Doch das Land ist wie aus einer postsowjetischen Starre erwacht. Es gibt jetzt schon bei vielen in der Bevölkerung ein neues Gefühl. Die Leute haben jetzt das Gefühl, dass die Elite nicht gottgegeben ist, sondern dass man sie auswechseln kann, wenn sie versagt hat. Das ist eine sehr wichtige Erfahrung und diese werden die Armenier wahrscheinlich nicht so schnell vergessen.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

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