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Humanitäre Hilfe IKRK mit Loch in der Kasse: «Es gibt weniger humanitäre Spenden»

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes befürchtet Ende Jahr ein grosses Loch in der Kasse. Der Generaldirektor schlägt Alarm. Anders sieht es bei der Schweizer Bevölkerung aus: Diese wird immer spendabler.

Im Budget für 2023 könnte ein Fehlbetrag zwischen 500 und 700 Millionen Franken entstehen, warnte der Generaldirektor des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK), Robert Mardini, in einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit der Zeitung «Le Temps».

Dies entspricht etwa einem Viertel des eingeplanten Jahresbudgets in der Höhe von 2.79 Milliarden Franken. «Wenn sich das bestätigt, dann werden wir nicht die Mittel haben, um Menschen in schwer zugänglichen Regionen zu helfen – dort aber ist unsere Präsenz am wichtigsten», sagte Mardini.

Wie finanziert sich das IKRK?

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Das IKRK wird von den Vertragsstaaten der Genfer Abkommen, den nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, von überstaatlichen Organisationen, wie etwa der Europäischen Kommission, sowie aus öffentlichen und privaten Quellen finanziert.

Den Grossteil der Beiträge wird durch die Regierungen gestemmt. Sie finanzierten in den vergangenen fünf Jahren im Schnitt rund 82 Prozent des Budgets. Da die Beiträge nach wie vor freiwillig sind, ist ihr langfristiger Bestand nicht garantiert.

Der Ukraine-Krieg zieht die internationale Aufmerksamkeit auf sich, sodass an anderer Stelle internationale Hilfsmittel fehlen. Aber auch eine allgemeine Spendenmüdigkeit angesichts der Vielzahl von Krisen weltweit sowie die Inflation werden als Gründe für ausbleibende Mittel genannt. «Es ist offensichtlich, dass es insgesamt weniger humanitäre Spenden gibt», sagte Mardini dem Sender RTS. «Diese Tendenz verstärkt sich nun mit dem Ukraine-Krieg.»

So steht es um die Spendefreudigkeit der Schweizer Bevölkerung

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Die Geschäftsleiterin Martina Ziegerer
Legende: Martina Ziegerer ist Geschäftsleiterin der Zewo. Die Zewo ist die Zertifizierungsstelle für gemeinnützige NPO, die in der Schweiz Spenden sammeln. Zewo

Frau Ziegerer, das IKRK spricht davon, dass Spenden aus dem internationalen Raum abgenommen haben. Das betrifft sowohl Gelder von Staaten als auch Privatpersonen. Wie steht es um die Spendebereitschaft der Schweizerinnen und Schweizer?

2021 war ein grossartiges Jahr, die Schweizerinnen und Schweizer waren sehr grosszügig. Insgesamt lag das Spendevolumen bei über zwei Milliarden Franken. Und für 2022 dürfte diese Marke nochmals deutlich übertroffen werden. Unsere derzeitige Prognose, die wir mit der Universität Freiburg erstellt haben, geht zur Zeit von 2.4 Milliarden Franken aus.

Machen die Donatoren einen Unterschied zwischen grossen und kleinen Organisationen? Spenden sie zum Beispiel lieber an kleinere Organisationen, weil sie denken, dass das Geld da eher den Bedürftigen zugutekommt?

Das kann man so nicht sagen. Wenn es eine Katastrophe gibt – etwa eine grosse Überschwemmung, ein Erdbeben oder einen Krieg – dann denkt man zuerst an Hilfswerke, die Erfahrung in der humanitären Hilfe haben. Dazu zählen etwa das IKRK oder auch das Schweizerische Rote Kreuz. Es braucht Erfahrung und eine gewisse Grösse der Organisation, um Zugang zu Katastrophengebieten zu erhalten, um die Logistik zu stemmen. Ausserdem fliessen vielleicht bei grossen Organisationen in absoluten Zahlen mehr Gelder in die Verwaltung, prozentual gesehen ist das aber nicht der Fall. Grosse Organisationen setzen absolut und prozentual mehr Mittel für die Hilfeleistung ein als mittlere und kleinere Organisationen.

Welche Projekte hat die Schweizer Bevölkerung letztes Jahr besonders grosszügig unterstützt?

Hervorzuheben ist sicher die Ukraine. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat eine grosse Solidarität ausgelöst. Bis heute haben Hilfswerke in der Schweiz rund 400 Millionen Franken Spenden für die Ukraine gesammelt, so viel wie noch nie zuvor für ein einzelnes Ereignis.

Fehlt aufgrund dieser Solidarität das Geld bei anderen Projekten?

Nein, das können wir so nicht bestätigen. Viele Schweizerinnen und Schweizer und auch Förderstiftungen, Kirchen oder Firmen erhöhen in Krisenzeiten ihre Spenden. Das zeigte sich zum Beispiel auch jüngst beim Erdbeben in der Türkei und Syrien. Viele spenden dann zusätzlich, ohne anderen Projekten die Unterstützung zu kürzen. Das gesamte Spendenvolumen steigt in der Schweiz seit Jahren, und es gibt kein Zeichen für einen Einbruch.

Nach Angaben des IKRK erreicht in diesem Jahr von den zehn grössten humanitären Einsätzen der Organisation allein die Mission in der Ukraine ihr volles Budget. Die Einsätze in Afghanistan, der Demokratischen Republik Kongo, in Äthiopien, in Irak, in Nigeria, in Somalia, in Südsudan und im Jemen hingegen werden in 2023 mit weniger Geld als geplant auskommen müssen.

«Die nächsten Monate werden entscheidend sein», sagte Mardini. «Wenn die Geber nicht zulegen, werden wir unsere Ziele herunterschrauben müssen.»

Das klamme Portemonnaie könnte auch Auswirkungen haben auf die Arbeitsplätze im Schweizer Hauptquartier. «Im Moment ist nichts ausgeschlossen», sagte Mardini. «Unser Ziel ist es, unsere Mitarbeiter und unsere Programme zu erhalten. Aus diesem Grund schlagen wir so früh im Jahr Alarm. Je nachdem, wie unsere Spender reagieren, werden wir tun, was wir tun müssen, um ein finanzielles Gleichgewicht zu gewährleisten.»

UNO rechnet mit Rekord-Bedarf

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Nicht nur das IKRK, sondern auch die UNO schätzt, dass sie dieses Jahr eine höhere Summe für die humanitäre Hilfe benötigt: Sie geht von rekordverdächtigen 51.5 Milliarden US-Dollar aus. Das sind 10.5 Milliarden mehr als 2022, und bereits in diesem Jahr bekundeten UNO-Organisationen Schwierigkeiten, genügend Finanzmittel zu finden.

In einem im September 2022 veröffentlichen Bericht listet das Flüchtlingshilfswerks UNHCR 12 Länder auf, in denen nicht mal 50 Prozent der Hilfe gedeckt wird.

SRF 4 News, 07.03.2023, 10 Uhr ; 

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