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Im Bann des Coronavirus Italien hat es kalt erwischt

Bei jedem Wiederladen italienischer Onlineportale steigt die Zahl der mit Corona-Virus Infizierten – wie eine Fieberkurve: 50, 80, 99, 133, 152 …

Gleichzeitig tauchen Fotos auf von Supermarkt-Kunden im Raum Mailand mit weissen Atemschutzmasken – Aufnahmen wie in China. Hamsterkäufe – viele Lebensmittelgeschäfte sind nur noch stundenweise geöffnet.

Das Militär steht auf der Po-Brücke

Ein Einwohner von Castelpusterlengo, einer der elf Gemeinden, die von den Behörden von der Aussenwelt abgeschnitten wurden, wird in «La Repubblica» zitiert: «Das ist wie im Krieg. Alles steht still, die meisten Geschäfte sind geschlossen. Die gesamte Versorgung wird kontrolliert und von aussen geliefert. Die Menschen haben Angst. Zwar kann man sich innerhalb der Gemeinde frei bewegen. Ausserhalb sind Strassensperren – und auf der Po-Brücke Richtung Piacenza soll das Militär stehen.»

Im öffentlich-rechtlichen Radio Rai1 schaltet die Moderatorin mit bebender Stimme zum Experten und fragt um Rat, wie man sich gegen eine Infektion schützen kann. Ihr Appell, keine Panik zu verbreiten, verhallt im eigenen Programm.

Ratlose Experten

Italien hat es kalt erwischt. Innerhalb von wenigen Stunden verzeichnet das Land so viele Covid-19-Infektionen wie kein anderes in Europa – und ein Ende ist nicht absehbar.

Ratlos sind die Experten: denn einer der Infektionsherde ist ausgerechnet das Spital von Codogno. Es ist eines von vier staatlichen Einrichtungen in der Provinz Lodi, welches die Gesundheitsversorgung von 230’000 Einwohnern südöstlich von Mailand sicherstellen soll. In der Notfallstation von Codogno soll der Corona-Virus sich Anfang/Mitte Februar zwischen Patienten, Ärzten und Pflegepersonal ausgebreitet haben.

Diese unkontrollierte Infektion in einem Spital mit grossem Publikumsverkehr macht es jetzt auch so schwer, die Dynamik zu rekonstruieren. Dazu kommt: neben der Lombardei und dem Veneto sind jetzt immer mehr Regionen betroffen. Ein Kausalzusammenhang kann fast nicht mehr hergestellt werden. Experten in Italien sprechen jetzt schon vom Virus in der dritten Generation. Die meisten Infizierten hätten keinerlei Bezug mehr zum Ursprungsland China oder zu Personen, die als Risikogruppe eingestuft werden konnten.

Eigentlich weltweit Spitze

Keiner nimmt im Land die Entwicklung auf die leichte Schulter: weder Bewohner noch Gesundheitsbehörden, weder die Regierung in Rom noch die Verantwortlichen in den Regionen.

Viele Italiener aber fragen sich: Warum passiert das gerade bei uns? Schliesslich heisst es, die Kontrolle und Vorbeugung in Italien sei weltweit an der Spitze! Das staatliche Gesundheitssystem erlaube quasi kostenlose medizinische Behandlung. Deshalb waren wie jedes Jahr auch während dieser Grippe-Periode die Warteräume beim Hausarzt oder in den Notfallstationen wieder gut gefüllt. Und in den Apotheken standen die Menschen mit Rezepten in der Hand Schlange. Alles hat nichts genützt, meinen jetzt viele. Der Virus hat uns eingeholt.

Aufgeben aber will niemand: mit Desinfektions- und Putzmitteln bewaffnet wird jetzt mehr denn je auf Reinlichkeit geachtet: zu Hause, in der Bar, in der Trattoria. In der Lombardei wurden die Sonntagsmessen heute ausgesetzt, doch den sozialen Kontakt wollen sich die Italiener auch in Zeiten des Corona-Virus nicht verbieten lassen.

Philipp Zahn

Auslandredaktor

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Philipp Zahn ist Teil der TV-Auslandredaktion von SRF. Davor berichtete er als Korrespondent aus Italien, Griechenland und der Türkei. Zahn studierte Geschichte, Volkswirtschaft und Philosophie in Berlin und Siena.

Tagesschau 23.03.2020, 18 Uhr

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