MC Thammy lacht in ihr Handy und tanzt für ihre Fans. Drei Millionen folgen ihr bei Tiktok, fast zwei Millionen bei Instagram. Beinahe hätte sie im Kampf um Klicks ihre Zehen verloren.
In einer Online-Reality-Show hatte sich die 24-jährige Brasilianerin bei einer «Ice Bucket Challenge» fünfzehn Minuten lang in einen Eimer mit Eis gestellt. «Ein bisschen länger und sie hätten amputiert werden müssen», sagt Thammy, während sie auf dem Handy Fotos durchscrollt: Blasen zwischen den Zehen, zerstörte Haut. «Ich war alleine im Spital, es war einfach nur schrecklich.»
Einkommen als Influencer ist lukrativ
Eigentlich ist Thammy ausgebildete Logistikfachfrau. Doch als Influencerin verdient sie ein Vielfaches. Von ihren Einnahmen leben sieben Familienmitglieder – darunter ihre Tochter, ihre Mutter und einige Neffen. «Es geht mir darum, Träume zu verwirklichen», sagt sie. «Ich will meiner Familie das bestmögliche Leben geben.»
-
Bild 1 von 8. Influencerin MC Thammy macht ein Selfie. Bildquelle: SRF.
-
Bild 2 von 8. Der 24-Jährige hatten nach einer Challenge für Social Media beinahe die Füsse amputiert werden müssen. Bildquelle: SRF.
-
Bild 3 von 8. Blasen zwischen den Zehen, zerstörte Haut: MC Thammy zeigt Fotos ihrer Füsse. Bildquelle: SRF.
-
Bild 4 von 8. Von ihren Einnahmen leben sieben Familienmitglieder. Bildquelle: SRF.
-
Bild 5 von 8. In Brasilien streben viele nach Social-Media-Ruhm. Bildquelle: SRF.
-
Bild 6 von 8. Selfie-Spots, wie hier in Sao Paulo, sind deshalb beliebt. Bildquelle: SRF.
-
Bild 7 von 8. Doch das Phänomen hat auch schon Tote gefordert. Bildquelle: SRF.
-
Bild 8 von 8. Die Influencer wollen immer extremere Stunts machen, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Bildquelle: SRF.
In Brasilien streben viele nach Social-Media-Ruhm – und nehmen dafür Risiken in Kauf. Das Land ist ein weltweiter Hotspot in der Plattformnutzung: Im Durchschnitt verbringen Brasilianer täglich dreieinhalb Stunden bei Tiktok, Instagram oder Youtube.
Fast 70 Prozent haben eigene Profile. Umfragen zeigen: Drei von vier Jugendlichen wünschen sich, selbst Influencer zu werden. Laut einer Studie gibt es in Brasilien über 500'000 Influencer mit mehr als 10'000 Followern – mehr als Bauingenieure oder Zahnärzte.
Immer wieder sterben Influencer
Doch die Konkurrenz ist gross, der Druck gewaltig. Vor kurzem starb ein Influencer, als er eine gewagte Fahrt auf seinem Motorrad filmte. Für zwei Social-Media-Stars endete ein Bootsausflug tödlich: Sie weigerten sich, Schwimmwesten zutragen, das Boot kenterte. Eine junge Influencerin stürzte aus einem fahrenden Auto, während sie ein Selfie-Video aufnahm. Sie wurde von einem anderen Fahrzeug erfasst.
Das Muster hinter den Unfällen ist stets dieselbe: Aufmerksamkeit wird zur Währung, Reichweite zum Lebensziel. «Extreme bringen am meisten Klicks», sagt MC Thammy. «Streit, Gefahr, irgendetwas, das schockiert. Viele Influencer gehen diesen Weg, um Aufmerksamkeit in Geld zu verwandeln.»
Insbesondere junge Männer nutzen Motorräder oder gefährliche Stunts auf Autos als Bühne. Zwei Jugendliche krallten sich kürzlich an einer Matratze fest, liessen sich darauf von einem Auto durch ihre Stadt ziehen. Ihr Video ging viral, sie wurden verhaftet.
«Ich verdiene mehr als ein Arzt, warum soll ich studieren?»
Technologie-Reporter Darlan Helder vom Fernsehsender TV Globo beobachtet den Kampf um Klicks mit Sorge – besonders bei Kindern. «Schon 60 Prozent der Neunjährigen in Brasilien haben ein Instagram-Profil, obwohl das eigentlich ab 13 Jahren erlaubt ist. Wir hören von jungen Influencer Aussagen wie: ‹Ich verdiene mehr als ein Arzt, warum soll ich studieren?›»
Auch MC Thammy reflektiert. «Manchmal denkt man, Geld und Status sind alles. Aber dann merkst du: Das stimmt nicht.» Sie appelliert an die User: «Wenn die Leute aufhören, extreme Inhalte zu konsumieren, würden die Influencer sie gar nicht produzieren. Eins bedingt das andere.»