Ob Krieg, Terror oder Skandale: Medienschaffende berichten und informieren umfassend über die Probleme und Missstände innerhalb unserer Gesellschaft. Auch wenn die freien Medien ihrer Pflicht nachkommt, die breite Bevölkerung aufzurütteln, hinterlassen diese Berichte bei den Lesern und Zuschauer zumeist einen Nachgeschmack – in Form von Verunsicherung und Angst. Gerade deshalb ist es wichtiger denn je, das Scheinwerferlicht auf die Lösungen zu richten, denn Journalisten wollen mit ihrer Berichterstattung ihren Beitrag an der Gesellschaft leisten.
Zu diesem Zweck findet seit einigen Jahren der sogenannte «Impact Journalism Day» statt. Rund 50 Verlage beteiligen sich weltweit daran. Am 24. Juni berichten Redaktoren über Geschichten und Menschen, die etwas anpacken und positiv verändern wollen. In der Deutschschweiz machen SRF und der «Tages-Anzeiger» am «Impact Journalism Day» mit.
«10vor10» widmet am Freitag eine Sondersendung diesem konstruktiven Journalismus. Vater des Projekts ist der Franzose Christian de Boisredon. Im Interview erklärt der Medienpionier, wie dieser Journalismus die Gesellschaft verändern kann und was dieser Ansatz von gewöhnlicher PR unterscheidet.
SRF News: Warum braucht es im heutigen Zeitalter einen konstruktiven Ansatz im Journalismus?
Christian de Boisredon: Wir sind über alles informiert – darin enthalten sind auch die Probleme der ganzen Welt. Die Öffentlichkeit empfindet diesen Zustand der permanenten negativen Information aber zunehmend als Belastung. Sie fühlt sich betäubt. Daher finden wir, dass wieder ein Gleichgewicht hergestellt werden muss, zwischen dem Aufzeigen von Problemen und der Präsentation von Lösungsansätzen.
Weshalb ist ein Gleichgewicht der publizistischen Berichterstattung so wichtig?
Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi hat einmal gesagt: Ein Baum, der fällt, macht viel Lärm. Doch den Wald, der wächst, hört man nicht. Der Journalismus berichtet vor allem über Dinge, die Lärm machen. Über all die Lösungen, welche es gibt, hören wir nicht viel. Es ist die Rolle des Journalismus, den Fokus auf diese Lösungen zu richten, welche die Welt weiterbringen.
Der Journalismus berichtet vor allem über Dinge, die Lärm machen. Über all die Lösungen, welche es gibt, hören wir aber nicht viel.
Überschätzen Sie da nicht den Einfluss der Journalisten auf die Welt?
Journalisten verfügen über viel mehr Macht, als wir denken. Ich glaube, dass Medienschaffende einen Einfluss auf die Welt haben können, selbst wenn das nicht ihre Aufgabe ist – das Paradebeispiel dafür ist der Fall meines Bruders: Er war in den 1960er Jahren mit einem Freund in Chile. Dort haben sie sich gefragt: Was können wir tun, um den Menschen zu helfen? In der Zeitung haben sie daraufhin einen Artikel über Mikrokredite in Bangladesch gelesen.
Damals sprach noch niemand davon. Sie fanden die Idee genial und haben sie in Chile ebenfalls umgesetzt. Nach einigen Jahren entstanden fast 100‘000 Stellen. Wenn der Journalist diesen Artikel nicht geschrieben hätte, wäre das Leben von 100‘000 Personen nicht verändert worden. Das Verrückte ist, dass das der Journalist gar nicht weiss.
Läuft der Journalismus aber dann nicht Gefahr, zur Public-Relations-Maschinerie zu verkommen?
Wenn ein Journalist über Lösungen spricht, ist er das Sprachrohr dieser Initiative, doch wenn ein Journalist über einen Politiker berichtet, soll er passenderweise nicht das Sprachrohr des Volksvertreters sein? Dieses Argument greift zu kurz. Selbstverständlich muss der Journalist kritisch sein und die vorliegenden Fakten überprüfen, um sicherzustellen, dass die vorgeschlagene Lösung seriös ist und auch funktioniert.
Doch die Frage stellt sich: Ist konstruktiver Journalismus Etikettenschwindel?
Nein. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor einigen Jahren konnte ich den Chef der französischen Zeitung «Libération» davon überzeugen, eine Ausgabe über Problemlösungen herauszugeben – um zu beweisen, dass das klassischer Journalismus ist, der die Menschen interessiert. Am Anfang weigerte sich die Redaktion, mitzumachen. Deshalb mussten wir die Ausgabe mit freien Mitarbeitern und dem Chefredaktor bestreiten.
Die Ausgabe war eine der am besten verkauften des Jahres. Als die Journalisten das Resultat sahen, fanden sie es interessant. Wenn man eine Lösung vorstellen will, muss man auch das Problem aufzeigen. Daher sind die Artikel so interessant. Die Zeitung hat dieses Konzept seither mehrfach wiederholt. Auch der «Nice Matin» in Nizza konnte mit dem neuen Konzept den Bankrott abwenden. Damit nicht genug: Eine unserer Partnerzeitungen in Japan mit sieben Millionen Exemplaren bemerkte, dass diese Art von Themen bei den jungen Menschen viel besser ankommt. Deshalb haben sie ihre redaktionellen Leitlinien angepasst.
Das Gespräch führte Susanne Wille.