Am 9. August hätte die international bekannte Indie-Rockband Mashrou' Leila aus dem Libanon am berühmten Byblos-Festival im eigenen Land auftreten sollen. Es wäre ihr dritter Auftritt an diesem internationalen Festival gewesen – ein Heimspiel sozusagen.
Doch dann sagte die Festivalleitung das Konzert ab, unter Druck der Maronitisch-Katholischen Kirche und wegen einer Flut von Gewalt-Drohungen in den sozialen Medien gegen das Festival und die Band. Die Musiker hätten die christliche Religion beleidigt – so der Vorwurf.
Eine Klage und Morddrohungen
Von der Klage gegen Mashrou' Leila erfuhr Aya Majzoub vor rund drei Wochen. Sie ist bei der Organisation Human Rights Watch in Beirut für die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen im Libanon und Bahrain zuständig. «Ich habe mir zuerst nicht viel daraus gemacht», sagt sie.
Aber die Klage löste in den sozialen Medien einen Schwall von Desinformation und Hasskommentaren aus – bis hin zu Morddrohungen gegen die Band. Dass Entrüstung in den sozialen Medien ausarten kann, ist für die junge Libanesin nichts Neues. Alarmierend fand sie aber, was dann passierte.
Verhörrichter statt Schutz vor Gewalt
«Statt den Musikern Schutz vor Gewalt zuzusichern, verhörte der Staatsanwalt sie sechs Stunden lang und liess die Künstler erst frei, nachdem sie eine öffentliche Entschuldigung und Selbstzensur versprochen hatten», erzählt Aya Majzoub.
Angeklagt wurde Mashrou' Leila nicht. Aber die Musiker mussten ihre Posts in den sozialen Medien zensieren und zwei Lieder aus ihrem Repertoire entfernen. Die Gewaltdrohungen gegen sie und das Festival hörten damit jedoch nicht auf.
«Die Untätigkeit der Regierung war entsetzlich», sagt die Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation. Weil der Staat dem Festival keinen Schutz zusicherte, sagte die Leitung das Konzert in Byblos ab – um kein Blutvergiessen zu riskieren.
«Beleidigung eines Kirchen-Dogmas»
Im Distrikt von Byblos – oder Jbeil, wie er lokal genannt wird – ist die Mehrheit der Bevölkerung christlich. Pater Abdo Abou Kassm, ein Maronite, ist Direktor des Katholischen Informationszentrums von Jbeil. Wenn es in Jbeil eine Beschwerde wegen einer Beleidigung der Kirche in den Medien gibt, dann landet sie auf seinem Pult.
Informanten aus seiner Kirchgemeinde hätten ihn darauf aufmerksam gemacht, dass Mashrou' Leila in zwei Liedern die Kirche beleidige. Insbesondere verletze Mashrou' Leila im Song «Djinn» das Dogma der Dreieinigkeit Gottes, sagt der Geistliche.
«Sie singen von einer Taufe mit Gin, im Namen des Vaters und des Sohnes – sie ersetzen den Heiligen Geist mit dem Wort Djinn», erklärt der Pater. «Djinn» heisst im Arabischen «Geist» – aber auch die Spirituose Gin. Im Liedtext badet einer seine Leber in Gin. Allerdings ist das Lied fast vier Jahre alt, und Mashrou' Leila wurde ausgerechnet am Byblos-Festival 2010 so richtig berühmt. Damals sass sogar der libanesische Premierminister Saad Hariri im Publikum.
Warum reagiert die Kirche erst jetzt? «Ehrlich gesagt haben wir erst dieses Jahr von dieser Gruppe erfahren», sagt der Direktor des Katholischen Informationszentrums in Jbeil.
«Im Kern geht es um Homophobie»
Ayman Mhanna bezweifelt diese Aussage. Er ist der Exekutivdirektor der Samir Kassir Foundation in Beirut, die sich für die Meinungsfreiheit in der Levante einsetzt.
«Im Kern geht es um Homophobie», sagt Mhanna. Für Religiöse sei die Band mit ihrem offen schwulen Sänger eine Provokation. Nur bestrafen seit einiger Zeit libanesische Gerichte Homosexualität nicht mehr. Mashrou'-Leila-Gegner hätten deshalb einen anderen Grund gesucht, um gegen sie vorzugehen.
Pater Abdo Abou Kassm wehrt sich gegen diesen Vorwurf. «Wir wissen, dass diese Gruppe Homosexualität propagiert. Aber das geht uns nichts an», sagt er, «Wir haben uns nur auf Artikel 9 der libanesischen Verfassung berufen, der Respekt vor allen Religionen fordert». Mashrou' Leila habe klar dagegen verstossen.
Die Musiker hätten der Kirchenleitung versprochen, sich öffentlich für die anstössigen Lieder zu entschuldigen und sie nicht mehr zu spielen. Ihr Versprechen hätten sie aber nicht gehalten. «Wir haben deshalb die Justiz gebeten, ihren Auftritt am Byblos Festival zu verbieten», sagt Pater Kassm.
Er verurteile jedoch die Drohungen gegen die Musiker. Bis jetzt wurde niemand für diese Drohungen zur Rechenschaft gezogen, trotz einer Klage, die elf Menschenrechtsorganisationen eingereicht hatten.
«Immer mehr Zensur»
Zensur komme im Libanon immer häufiger vor, sagt Ayman Mhanna von der Samir Kassir Foundation. «Alleine im Juli dieses Jahres wurden im Libanon zwei Filme und Bücher verboten – auch die des israelischen Erfolgsautors Yuval Harari.»
Journalisten, Blogger und andere, die Politiker kritisierten, würden zu Verhören vorgeladen. Und das vermehrt seit den Massendemonstrationen in 2015 gegen die mangelhafte Abfallentsorgung im Land, bei denen die Regierung massiv unter Druck kam. Diese ist jedoch ständig zerstritten und oft monatelang handlungsunfähig. Das gebe den einzelnen religiösen und politischen Gruppierungen mehr Macht, ihre Ideologien durchzusetzen, sagt Ayman Mhanna.
Kritiker im Inland schüchterten sie ein, Kritik aus dem Ausland verhinderten sie mit einer Art Erpressung: «Wenn ihr uns nicht an der Macht haltet und wirtschaftlich unterstützt, dann schicken wir euch unsere Flüchtlinge», etwa so setzten alle Machthaber im Nahen Osten vor allem den Westen unter Druck – auch im Libanon.
Eine Protestnote gegen die Zensur-Affäre rundum Mashrou' Leila setzte allerdings die Schweizer Botschaft im Libanon auf Facebook ab: Meinungsfreiheit sei einer der vielen Werte, die den Libanon und die Schweiz einten: «Wir bedauern zutiefst die Absage des Mashrou'-Leila-Konzerts am Internationalen Byblos Festival.»
«Heute Mashrou' Leila, morgen wir alle»
Im Libanon selbst gab es vor der Mashrou' Leila Affäre kaum Proteste gegen die zunehmende Zensur. Das hat sich nun geändert. Der erste grosse Protest fand in Beirut statt: Ein Gratis-Konzert am Abend, an dem Mashrou' Leila in Byblos hätte auftreten sollen. «Heute trifft es Mashrou' Leila, morgen und übermorgen euch, uns alle», ruft ein Sprecher in die Menge.
«Das Problem ist: Die Behörden sagen, wir könnten alles sagen. In Wahrheit sperren sie uns aber ein oder bedrohen uns, wenn wir sie kritisieren oder Fans von einer solchen Rockgruppe sind», sagt eine junge Konzertbesucherin.
Angesichts der Drohungen gegen Mashrou' Leila ist die Veranstaltung nicht ungefährlich. Doch die Besitzerin weiss sich zu helfen. Sie ist die berühmte libanesische Fernseh-Moderatorin Rania Barghout, die mit ihrer tabulosen Frauentalkshow «Kalam Niswaen» in der arabischen Welt Furore machte. «Ich habe meine eigenen Sicherheitskräfte», lacht sie. Sie werde diesen Ort schützen – auch wenn die Polizei nicht mithelfen sollte, verspricht sie.
Die Veranstaltung endet am frühen Morgen ohne Zwischenfälle. Die Musiker von Mashrou' Leila selbst sind nicht dabei. Ein Interview lehnt die Band ab und entschuldigt sich dafür: Ihre rechtlichen Berater rieten ihnen zur Zeit von Interviews ab.