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Instrument des Kremls «Das Fernsehen transportiert nur die Hälfte der Wahrheit»

Im Westen lebt sich's schlecht – das ist das Bild, welches das russische Fernsehen grösstenteils von Europa zeichnet. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des estnischen Instituts für Ostpartnerschaften. Wie sich das effektiv im russischen Alltag auswirkt, weiss SRF-Russland-Korrespondent David Nauer.

Nehmen Sie das Europa-Bild im russischen Fernsehen auch so negativ wahr?

David Nauer: Ja, das Bild, das vom russischen Fernsehen von Europa gezeichnet wird, ist eindeutig negativ. Ich denke, dahinter steckt auch klar politisches Kalkül. Den Russen soll das Gefühl vermittelt werden, dass jeder froh sein kann, wenn er im schönen, sicheren, stabilen Russland leben darf und eben nicht in diesem schrecklichen Europa, wo es unsicher ist, wo es soziale Unruhen gibt, wo es viele Flüchtlinge gibt.

Bei der Europa-Berichterstattung geht es ganz viel um Innenpolitik. Und vor diesem Hintergrund kann man ganz klar sagen, dass das russische Fernsehen ein Propaganda-Instrument in den Händen des Kremls ist. Es wird viel Propaganda gezeigt, aber nicht nur. Es gibt sehr wohl Berichte im russischen Fernsehen, die neutral sind, die sauberes journalistisches Handwerk sind. Darin wird einfach über ein Ereignis in Europa berichtet, ohne eine aggressive propagandistische Werbung.

Ich wurde gefragt, ob ich mich in Europa nach dem Eindunkeln überhaupt auf die Strasse traue.

Können Sie ein Beispiel geben für so einen Propaganda-Bericht?

Ja, vor einiger Zeit wurde ein Beitrag auf dem staatlichen Kanal ausgestrahlt, in dem es um Flüchtlinge in Deutschland ging. Im Beitrag wurde Deutschland als totales Chaos dargestellt: Gewalt in Flüchtlingsheimen, rechtsextreme Schläger, die durch die Strassen ziehen, und der Staat ist komplett überfordert. Zudem ganz klar die Message: Verbreitete Demokratie gebe es keine in Deutschland. Das Volk hätte da nichts zu sagen.

Das war ein sehr typisches Beispiel, gerade bei dem Thema, bei dem das russische Fernsehen immer wieder in dieselbe Kerbe schlägt. Wenn man Deutschland kennt, erkennt man das Land im Beitrag nicht wieder.

Und wie sehr prägt diese Berichterstattung das Europa-Bild der Russen?

Das ist sehr unterschiedlich. Gerade in der Provinz, weit weg von grossen Städten, kennen die Leute Europa nur vom Fernsehen. Ich wurde gefragt, ob ich mich in Europa nach dem Eindunkeln überhaupt auf die Strasse traue. Das sei jetzt doch so gefährlich geworden, wegen den Flüchtlingen. Das ist schon grotesk, wenn das Leute fragen, die in sehr armen, strukturschwachen, zum Teil auch zerrütteten Städten leben.

Anderseits sind die Russen auch nicht blöd. Schon gar nicht diejenigen, die die Möglichkeit haben, zu reisen oder sich anders zu informieren. Viele Russen, gerade in den grossen Städten wie St. Petersburg, gerade auch viele Junge, wissen natürlich, dass es in Europa anders aussieht. Und dass das Fernsehen nur etwa die Hälfte der Wahrheit transportiert.

Wird das Europa-Bild in anderen Medien, also in Zeitungen, am Radio oder online korrigiert ?

Natürlich gibt es in der russischen Qualitätspresse, vor allem in der oppositionellen Qualitätspresse, eine andere Tonalität, wenn es um Europa geht. Es ist viel weniger aggressiv, viel ausgewogener. Aber es gibt relativ wenig Auslandberichterstattung in den Zeitungen und online. Nur die wenigsten Medien können sich Auslandkorrespondenten leisten.

Interessant ist, dass soziale Medien in Russland zunehmend eine Rolle spielen, wenn es darum geht, sich ein Bild von der Welt zu machen. Ich habe schon einige Male gehört, dass die Leute Youtube-Videos anschauen, um zu sehen, wie es in Deutschland oder in den USA aussieht. Sie schauen wie Russen in diesen Ländern leben. Russen haben mir auch schon gesagt: «Das ist ja gar nicht so schlimm in Europa. Es ist besser als ich gedacht habe und besser als es unser Fernsehen zeigt.»

Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.

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