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International 20 Jahre nach Srebrenica: Zwischen Versöhnung und Wut

Im ostbosnischen Srebrenica trauerten Zehntausende. Vor 20 Jahren waren hier über 8000 muslimisch-bosnische Männer und Buben ermordet worden – von christlich-serbischen Truppen. An der Veranstaltung kam es zu einem Eklat: Der serbische Ministerpräsident Vucic wurde mit Steinwürfen vertrieben.

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Was eine Geste der Versöhnung hätte sein sollen, endete in einem Eklat: Bei der Gedenkfeier zum 20. Jahrestag des Völkermordes in Srebrenica wurde der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic mit Flaschen und Steinen beworfen.

Der Premier sei von einem Stein im Gesicht getroffen und leicht verletzt worden, bestätigte seine Sprecherin. Zudem sei die Brille kaputt gegangen. Vucic hat nach dem Vorfall Srebrenica verlassen. Der Besuch des Serben Vucic am Gedenktag hätte symbolisieren sollen, wie gut sich die Beziehungen in der Region seither entwickelt hätten.

Grösstes Kriegsverbrechen in Europa seit 1945

Vor 20 Jahren waren bei dem Massaker von Srebrenica über 8000 muslimische Bosnier von christlich-serbischen Truppen ermordet worden – vor allem Männer und Jungen. An der Gedenkfeier im ostbosnischen Ort nahmen Zehntausende trauernde Menschen teil.

Nicht nur Angehörige der Ermordeten trauerten an der weitläufigen Gedenkstätte Potocari vor den Toren der Stadt um ihre Toten. Auch zahlreiche Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt erwiesen den Opfern des grössten Kriegsverbrechens nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa die letzte Ehre.

«Monströses Verbrechen»

So auch der serbische Regierungschef Vucic. Vor der Feier hatte der ehemalige Nationalist, der sich heute als überzeugter Europäer sieht, die Tat als «monströses Verbrechen» verurteilt: «Es gibt keine Worte, um die Trauer (…) für die Opfer auszudrücken, noch für die Wut gegenüber jenen, die dieses (…) Verbrechen begangen haben.»

Die serbische Regierung wolle gemeinsam mit den Bosniern leben und das Vertrauen wiederherstellen: Das sei seine Pflicht gegenüber den Opfern und den zukünftigen Generationen, hatte Vucic in einem offenen Brief geschrieben. Den Begriff «Völkermord» benutzte er jedoch nicht – was offenbar noch immer viel Wut unter den Bosniern schürt.

Viele Serben lehnen die von den Vereinten Nationen verwendete Bezeichnung «Völkermord» ab. Auch bestreiten viele die Zahl der Todesopfer sowie die Darstellung der Ereignisse. Vergangene Woche hatte Russland auf Drängen Serbiens eine UNO-Resolution verhindert. Diese wollte die Leugnung des Massakers als Völkermord verurteilen.

136 neu identifizierte Opfer bestattet

In der Region hatten die damals dort stationierten niederländischen UNO-Truppen das Massaker nicht verhindern können. Die Rolle des sogenannten «Dutchbat» wurde immer wieder in Frage gestellt. Srebrenica war kurz vor dem Massaker von der UNO zur «sicheren Schutzzone» erklärt worden.

Bisher haben 6200 Opfer ihre letzte Ruhestätte in Potocari gefunden. Heute wurden weitere 136 neu identifizierte Opfer des Völkermordes beerdigt. Die jüngsten Opfer waren 16-jährig, das älteste 74 Jahre alt. Von einer Familie werden nun gleichzeitig drei Generationen männlicher Familienmitglieder bestattet: Der 17-jährige Sifet, sein 40-jähriger Vater Ramiz und der 64-jährige Grossvater Atif.

Die serbischen Truppen hatten im Juli 1995 die muslimischen Männer und Buben gezielt und organisiert aus den Flüchtlingskonvois herausgeholt. Sie wurden reihenweise erschossen und anschliessend in Massengräbern verscharrt. Um die Spuren des Verbrechens zu verwischen, wurden die Überreste der Opfer später mit Bulldozern ausgehoben und aufs Land verteilt in neuen Gruben versteckt. Deswegen ist die Identifizierung der Opferleichen noch heute nicht abgeschlossen.

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