40-jähriges Jubliäum der Nelkenrevolution
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Bild 1 von 10. 25. April 1974: Die Nelkenrevolution fegt die damals älteste Diktatur Europas weg – den «Estado Novo» von António Salazar. Dieser war von 1932 bis 1968 Staatsführer der autoritären Diktatur. Ein Schlaganfall setzte Salazar jedoch frühzeitig ausser Gefecht. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 10. Das Ende der Salazar-Diktatur erlebte dieser selbst nicht mehr. Er war schon vier Jahre tot, als seine Nachfolgeregierung unter Ministerpräsident Marcelo Caetano und Präsident Americo Thomas gestürzt wurde. Diese verschanzten sich erst in einer Kaserne, traten dann unter dem starken Druck der MFA ab. In den Räumlichkeiten des abgesetzten Caetano. Bildquelle: Reuters.
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Bild 3 von 10. Die Helden der Stunde: Hauptmann Salgueiro Maia (links) und seine Soldaten feiern in Lissabon. Salgueiro war in die Pläne der Movimento das Forças Armadas (MFA) zum Putsch der Diktatur eingeweiht. Als im Radio das Signal zum Aufstand kam, das von den Aufständischen vereinbarte Lied Grândola Vila Morena, griffen Maia und seine Kadetten an. Bildquelle: Reuters.
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Bild 4 von 10. Ernesto Melo Antunes gilt als einer der Ideologen der Nelkenrevolution. Der portugiesische Offizier war Mitautor des politischen Programms der Militärbewegung Movimento das Forças Armadas (MFA), die das herrschende Regime stürzte. 1975 und 1976 amtete er als Aussenminister. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 10. Der Morgen nach dem Putsch. Soldaten halten Stellung in den Strassen von Lissabon. Die Revolution verlief beinahe unblutig – «nur» vier Menschen starben. Bildquelle: Reuters.
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Bild 6 von 10. Amtsübergabe: Jorge Sampaio (links) wird Präsident. Er übernimmt das Amt von seinem Parteikollegen Mário Soares am 9. März 1996 in Lissabon. Soares war der erste frei gewählte Ministerpräsident seit der Revolution und Gründer der Sozialistischen Partei Portugals. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 10. Das Jubiläum zum Volksaufstand wird zum Volksfest. Die Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Nelkenrevolution treibt Tausende auf Portugals Strassen. Wie hier in Lissabon am 25. April 1997. Die Revolution verdankt ihren Namen den roten Nelken, die den aufständischen Soldaten in die Gewehrläufe gesteckt wurden. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 10. Das Symbol der Demokratie – bis heute. Auch während der Demonstration gegen die Sparprogramme in Portugal hält diese Frau eine rote Nelke in der Hand (März 2013). Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 10. Auch heute hat die Nelkenrevolution für die Portugiesen eine grosse Bedeutung. Wie hier bei der Kundgebung zum 38. Jubiläum der portugiesischen Revolution vor zwei Jahren. Bildquelle: Reuters.
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Bild 10 von 10. Erinnerungen an das Ende einer Diktatur und zugleich den Fall der letzten grossen Kolonialmacht der Welt. Die roten Blumen bleiben ein starkes Zeichen für Demokratie und Frieden. Bildquelle: Reuters.
In Portugal kam 1926 eine Militärjunta durch einen Putsch an die Macht. Ab 1932 bemühte sich das Land unter António Salazar um eine Distanzierung vom italienischen Faschismus und vom deutschen Nationalsozialismus. 1933 baute Salazar seine Macht durch eine neue Verfassung und die Abschaffung des Parlaments aus.
Ein Buch liefert die Idee
1968 wurde Salazar von Marcelo Caetano abgelöst. Am Charakter der Diktatur änderte dies nur wenig. Es gab Repression, Pressezensur, Folter und keine freien Gewerkschaften. Herrschen sollte nur die Elite. Die grosse Masse der Bevölkerung wurde bewusst in Armut, Unwissenheit und Rückständigkeit gehalten, um den Portugiesen das «Übel» der Moderne zu ersparen. Über ein Drittel des Volkes litt an Analphabetismus. Zudem hielt Portugal an seinen afrikanischen Kolonien fest und befand sich dort im Krieg.
Im Februar 1974 veröffentlichte der stellvertretende Generalstabschef António de Spínola sein Buch «Portugal e o Futuro» (Portugal und die Zukunft), das besonders in militärischen Kreisen für Furore sorgte.
Spínola kam zum Schluss, dass der Kolonialkrieg zu viele Menschenleben koste und bis zu 50 Prozent des Staatshaushaltes verschlinge. Er schlug eine neue Strategie vor, in der die Teilnahme des Volkes am politischen Willensbildungsprozess und das Recht der Kolonien auf Selbstbestimmung gewährleistet sein sollten.
Für die «Bewegung der Streitkräfte» (MFA), die sich gegen die Diktatur auflehnte, war dieses Buch ein Signal zum Aufbruch. Erst nach Veröffentlichung des Buches erhielt das MFA grösseren Zulauf in der Bevölkerung. Der Schweizer Journalist Werner Herzog befand sich damals in Portugal. Er kann sich noch gut an die Stimmung im Land erinnern, wie er im Gespräch mit SRF sagt.
Verbotene Musik als geheimes Signal
«Es lag ein Schatten über dem Land. Die Portugiesen waren nicht so fröhlich und lebensfroh wie die Spanier», erinnert sich Herzog. Portugal sei abgeschottet gewesen vom Rest Europas, es habe keine Bildung, keine Industrialisierung gegeben. «Viele junge Portugiesen gingen ins Ausland – auch, um den obligatorischen Militärdienst zu umgehen.»
Am 25. April 1974 nahm das Schicksal dann seinen Lauf. Ein Lied im Radio gab dem MFA das Signal zum Aufbruch: «Grândola, Vila Morena». Die erste Strophe des verbotenen Liedes wurde vom Sprecher des katholischen Radios gelesen, danach folgte das Lied selbst, gesungen vom antifaschistischen Protestsänger José Afonso.
Für alle militärischen Einheiten der MFA waren die Verse das vereinbarte Zeichen zum bewaffneten Aufstand. Knapp 18 Stunden später hatte die «Bewegung der Streitkräfte» Westeuropas älteste Diktatur gestürzt.
Die Bewegung bestand vornehmlich aus jungen Offizieren der unteren Ränge. Diese Männer waren es, die den diensthabenden Kommandanten festsetzten und über die Autobahn nach Lissabon fuhren, um Ministerien, Radio- und Fernsehsender sowie den Flughafen zu besetzen. Die Mehrheit der angerückten Regierungstruppen lief zu den Aufständischen über.
Die erste Strophe des Liedes
Tausende von Lissabonern säumten den Weg der Kolonne, jubelten den Befreiern zu, liefen neben den Armeefahrzeugen her, sprangen auf. Die ersten roten Nelken, die der Revolution den Namen gaben, tauchten auf, leuchteten an den Uniformen der Soldaten und aus ihren Gewehrläufen. Caetano flüchtete sich hinter die Mauern einer Kaserne. Die Belagerung dauerte so lange, bis der Diktator sich bereit erkläre, die Regierung an General Spínola zu übergeben.
Das Ende einer Kolonialmacht
Nur einmal fielen Schüsse – bei der Erstürmung der Stützpunkte der Geheimpolizei durch die Bevölkerung. Vier Menschen starben. In der Nacht zum 27. April wurden die politischen Gefangenen aus dem Kerker der Geheimpolizei befreit. Ihre Verwandten und Freunde empfingen sie auf der Strasse. Jahrelang waren die Gefangenen dort ohne Gerichtsverfahren Folter, Isolationshaft und Demütigung ausgesetzt.
Werner Herzog traf am 26. April in Lissabon auf jubelnde Portugiesen – aber auch auf Verwirrung. Niemand habe gewusst, wer den Putsch angezettelt hatte. Obwohl der Sieg als ein Sieg des Volkes angesehen wurde, blieb die Lage in Portugal noch eine ganze Weile unstet. «Militär und Übergangsregierung waren sich nicht einig, in welche Richtung sie das Land steuern sollten», sagt Herzog zu SRF: Viele seien zudem nicht zufrieden gewesen mit den Kommunisten, die nun an der Macht waren. Denn diese bedeuteten neue Zensuren und neue Verbote.
Die Unabhängigkeit für die Kolonien führte dazu, dass hunderttausende Exil-Portugiesen in die Heimat zurückkehrten – und für diese musste Unterkunft und Arbeit gefunden werden. «Dass Portugal den Weg zur Demokratie trotzdem geschafft hat, ist dem Land hoch anzurechnen», so Herzog. Noch heute ist der 25. April tief in den Köpfen der Portugiesen verankert. «Er bedeutet die Hinwendung zu Europa, der Geburtstag des modernen Portugals.» Trotzdem: Gerade heute werfe die Wirtschaftskrise wieder neue Schatten auf das Land. «Portugal ist noch nicht aus dem Schneider.»