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Die Webseite des «Büros für Briefe und Anrufe».
Legende: Die Webseite des «Büros für Briefe und Anrufe». SRF

International 46 Millionen Beschwerden in zwei Stunden

Ob korrupte Beamte oder sonstige Ungerechtigkeiten: Seit Anfang Juli können sich Chinesinnen und Chinesen darüber im Internet beklagen. Bereits kurz nach dem Start sind die Server zusammengebrochen.

Von diesem Erfolg können andere Betreiber von Webseiten nur träumen: Innerhalb von zwei Stunden hatte in China die Webseite gjxfi.gov.cn 46 Millionen Zugriffe. Die Server sind abgestürzt. Der Grund für den Grosserfolg ist die Unzufriedenheit vieler Chinesinnen und Chinesen. Auf diesem Portal können sie sich beschweren, zum Beispiel über korrupte Beamte und über deren Machtmissbrauch. «Die Webseite ist ein Ventil», sagt SRF-Asienkorrespondent Urs Morf. Der Unmut über die Korruption sei enorm gross, deswegen gebe es in China täglich hunderte kleinere oder grössere Unruhen.

Bittschriften haben Tradition

Erstaunlich: Auf der einen Seite schränkt die chinesische Regierung das Internet stark ein, auf der anderen Seite hat sie Anfang Juli diese Seite aufgeschaltet. Das sei aber kein Widersprich, sagt Morf dazu. China schränke zwar die Informationsfreiheit ein, aber das Petitionswesen sei allen Herrschern in China wichtig gewesen. Das gab es schon im Kaiserreich und unter den Kommunisten. «Die Regierung will wissen, wo das Volk den Schuh drückt.»

Deshalb habe es bisher schon bis anhin ein staatliches Büro in Peking gegeben, bei dem sich die Bürgerinnen und Bürger beschweren konnten. Das habe in letzter Zeit aber nicht mehr funktioniert, so Morf weiter. «Die korrupten Lokalfürsten haben Schlägertrupps nach Peking gesandt und diese haben dann gezielt die Leute aus ihrem Landkreis abgefangen. Sie nahmen sie gefangen und brachten sie wieder in ihre Heimatorte zurück.»

Kritiker riskieren einiges

Auch die Kritik an Beamten auf der Internetseite ist allerdings nicht ungefährlich. Dort muss man sich nämlich mit vollem Namen und Adresse anmelden. Es gebe Gerüchte, dass sehr gute Kontakte zwischen den korrupten Lokalfürsten und den Beamten im Beschwerdebüro bestehen, sagt Morf. «Da kann auch eine Beschwerde im Internet sehr unangenehme Folgen haben, dieses Risiko besteht.»

Trotzdem nutzen Millionen von Chinesen die neue Möglichkeit. Das hat laut Morf vor allem zwei Gründe: Einerseits weiss das Volk, dass die Regierung in Peking die Beschwerden auch wirklich ernst nimmt. Andererseits haben in China die Leute das Gefühl, dass an den Missständen die lokalen Beamten schuld sind. «Die meisten Chinesen sind überzeugt, dass die Führung in Peking sehr aufrichtig und gut ist.»

Die angeprangerten Beamten müssen allerdings nicht sofort mit Konsequenzen rechnen. Angesichts der millionenfachen Einträge bezweifelt Morf, dass die Beamten jeder Beschwerde nachgehen können. «Wenn aber Tausende beispielsweise gegen einen einzigen Funktionär klagen, werden die Behörden sicher genauer hinschauen, was da los ist.»

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