Ein dickes Eisenrohr, das jahrelang eine schwere Last zu tragen hat, beginnt mit der Zeit zu rosten. Mit dieser Metapher beschreibt der Kiewer Ökonom Swijatoslaw Schwezow den heutigen Zustand der ukrainischen Wirtschaft. Dass auch im Rohr selbst ein Prozess des Zerfalls stattfindet, weiss man zwar. Aber weil nur die Rostflecke sichtbar sind, übermalt man sie ab und zu, statt das Rohr grundsätzlich zu reparieren.
Schwezow vergleicht die heutige wirtschaftliche Lage der Ukraine mit der Sowjetischen Planwirtschaft Ende der 80er Jahre und bedauert, dass sich in den letzten 23 Jahren praktisch nichts geändert habe: Eine schlecht funktionierende Monopolwirtschaft und ein gigantischer Beamtenapparat, der seit 1991 um das 18-fache gewachsen ist.
Immense Bürokratie und Korruption
In der ganzen ukrainischen Ökonomie gibt es mindestens 400‘000 Lizenz- und Bewilligungsverfahren. Als Beispiel nennt Schwezow den Wohnungsbau: «Allein um eine Baugrube auszuheben, braucht 133 Unterschriften von diversen Ämtern.» Natürlich widersprechen sich diese 133 Bewilligungen. Wer trotzdem bauen will, muss zahlen. Und wenn das Haus dann fertig ist, macht die Korruption 50 Prozent des Verkaufspreises aus.
Diese Korruption zu bekämpfen, verlangt der IWF als Gegenleistung für seine Finanzhilfe in Milliardenhöhe. Das weiss auch Schwezow. Ebenso, dass der Widerstand der Oligarchen gross ist – jener Wirtschaftskapitäne, die seit den 90er Jahren auch die Politik in der Ukraine bestimmen.
«Demokratie wird nur gespielt»
Wer für das Parlament kandidieren darf, wurde immer unter den Oligarchen ausgemacht. Das Hauptanliegen der Oligarchen war es, den Staatshaushalt zu verteilen, sich staatliche Zuschüsse, Subventionen zuzuschanzen. «Demokratie wurde in den letzten 23 Jahren nur gespielt. Daran hat sich bis heute grundsätzlich wenig geändert», sagt Schwezow.
Rabenschwarz sieht der Ökonom deshalb die Aussichten, die Korruption ausmerzen zu können. Auch für die von den internationalen Gelgebern verlangten Wirtschaftsreformen sieht er schier unüberwindbare Hindernisse: «Demonopolisieren» heisst hier sein Credo.
Kein Wettbewerb unter diesen Bedingungen
Und zwar nicht nur bei der Verwaltung, sondern auch in diversen Branchen. Zum Beispiel im Energiesektor, wo die Stromproduktion in staatlicher Hand liegt, die Verteilung jedoch in privater, seit ihn frühere Regierungschefin Timoschenko privatisiert hat.
So gibt es in jedem Gebiet sogenannte Oblenergo, Verteilergesellschaften. Sie legen die Preise fest, schalten zwischen sich und dem Endverbraucher weitere Vermittler ein und bauen sich so eigene Imperien auf. Für 30 Kopeken pro Kilowatt kaufen sie dem Staat den Strom ab, die Endverbraucher und Unternehmen bezahlen das Fünffache. «Dabei nutzen sie bloss die Betriebe und das Netz aus Sowjetzeiten – das verteuert unsere Produkte und macht sie wettbewerbsunfähig», klagt Schwezow.
Die Uhr tickt, doch nichts passiert
Für den Ökonomen ist klar: Solche Vermittlerketten müssen abgeschafft werden. Das haben er als Berater der Wirtschaftskommission des Parlaments und auch andere Ökonomen schon x-mal vorgeschlagen. Vergeblich.
Und so staunt Schwezow: «Der IWF gibt Geld und verlangt Reformen, die nicht durchgeführt werden. Aber die Kredite werden trotzdem gewährt und das Spiel geht so weiter.» Er zweifelt daran, dass für Reformen überhaupt noch genügend Zeit bleibt. Und er verzweifelt ob den Zuständen in seinem Land.