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International Anhänger der Ennahda-Partei auf der Strasse

Die Proteste ebben in Tunesien ab, aber von Normalität ist das Land noch weit entfernt. Regierungschef Jebali möchte Brücken schlagen zwischen Islamisten und Säkularen. Aber lässt das seine Partei zu?

Tunesien ringt um Ruhe und Stabilität: Nachdem am Freitag Zehntausende Menschen in einem Trauerzug dem ermordeten Oppositionspolitiker Chokri Belaïd das letzte Geleit gegeben hatten, folgten heute Tausende Anhänger der regierenden Ennahda-Partei in Tunis dem Aufruf zu einer Gegendemonstration.

Wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten, riefen die Demonstranten gegen Frankreich gerichtete Parolen und liessen die islamistische Ennahda-Regierung hochleben. Zu der Kundgebung in der Nähe der französischen Botschaft hatte Ennahdas Jugendorganisation aufgerufen. Nach unterschiedlichen Quellen lag die Zahl der Demonstranten zwischen 3000 und 6000.

Seit dem Attentat auf Belaïd am Mittwoch war es bei Protesten von Regierungsgegnern immer wieder zu Ausschreitungen gekommen. 230 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 25 Jahren seien am Freitag festgenommen worden, berichtete die tunesische Nachrichtenagentur TAP. Heute herrschte weitgehend Ruhe und Ordnung. Geschäfte und Restaurants öffneten wieder.

Die Ermordung von Belaïd hat in Tunesien die Gräben zwischen religiösen und religionsfernen Menschen vertieft. Ausserdem treten die Spannungen zwischen dem moderaten und konservativen Flügel in der regierenden Ennahda-Partei deutlich zutage.

Jebali droht mit Rücktritt

Ministerpräsident Hamadi Jebali, der zur moderaten Ennahda-Fraktion gehört, hatte am Mittwoch nach den landesweiten Protesten wegen der Ermordung Belaïds mit der Ankündigung seiner Pläne zur Regierungsumbildung überrascht. Der neuen Regierung sollen nur Experten angehören.

Jebali begründete sein Vorhaben damit, dass eine Expertenregierung der beste Weg sei, um dem Land weitere Spannungen zu ersparen. Sobald als möglich solle in Tunesien auch neu gewählt werden.

Der konservative Parteiflügel um Parteichef Rachid Ghannouchi lehnt die Pläne jedoch ab. Die Nationalversammlung, in der die Ennahda die Mehrheit hat, muss laut Verfassung jedem neuen Kabinett zustimmen.

Für den Fall, dass die von ihm geplante Regierungsneubildung scheitert, kündigte Jebali heute seinen Rücktritt an. Er werde spätestens Mitte kommender Woche eine neue Expertenregierung vorstellen, sagte Jebali laut tunesischen Medien.

Sollte Ennahda im Parlament die Zustimmung dazu verweigern, werde er zurücktreten. Dann müsse Staatspräsident Moncef Marzouki jemand anderen mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen.

Proteste als Chance

Experten schätzen, die Proteste nach dem Attentat auf Belaïd könnten Tunesien auf dem demokratischen Kurs voranbringen. Hardy Ostry, der das Büro der Konrad Adenauer-Stiftung (KAS) in Tunis leitet, sieht in den aktuellen Auseinandersetzungen eine Chance.

«Viele Tunesier – und das haben gestern auch die Plakate und die

Rufe immer wieder gezeigt – sind jetzt auch bereit zu sagen, wir müssen der Gewalt abschwören», sagte er dem Norddeutschen Rundfunk. Diese Kräfte müssten nun einen nationalen Konsens suchen, fügte Ostry hinzu.

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