Der Konflikt auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim droht erneut zu eskalieren. Am Mittwoch hatte der russische Inlandsgeheimdienst FSB erklärt, er habe Anschläge ukrainischer Saboteure auf der Krim verhindert. Wladimir Putin warf der Ukraine in scharfen Worten Terrorismus vor und drohte mit Gegenmassnahmen. Rund 40'000 Soldaten soll Russland auf der Krim, im Osten der Ukraine und an der Grenze zusammengezogen haben. Kiew wies sämtliche Vorwürfe zurück und versetzte die Truppen seinerseits in Alarmbereitschaft .
Handelt es sich hierbei um blosse Muskelspiele, oder kommt es zum offenen Krieg? Zwei Experten geben Auskunft darüber, wie die jüngsten Ereignisse in den jeweiligen Ländern wahrgenommen werden.
- Aus Moskau: Hermann Krause, langjähriger WDR-Korrespondent
«Es ist natürlich eine ernste Situation, und es kann durchaus passieren, dass es militärische Aktionen von Seiten Russlands gibt. Es ist aber auch möglich, dass das Ganze deeskaliert und in ein paar Tagen niemand mehr davon spricht. Grundsätzlich entzieht sich das Vorgehen Russlands jeglicher Logik. Denn eigentlich ist der russische Präsident ja bemüht, sein Land zurückzubringen auf die Weltbühne, damit die Sanktionen aufgehoben werden. Würde Putin versuchen, den Konflikt auszuweiten, wäre das eine Katastrophe. Dann gäbe es richtig Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Und anders als vor zwei Jahren ist die Ukraine mittlerweile vorbereitet: Sie hat eine hochgerüstete Armee, die bereit steht. Diskutiert wird hier noch eine andere Version: Dass Putin stark unter Druck steht und quasi von rechten Kräften innerhalb des Kremls zu diesem Schritt gezwungen wurde.
In Russland selbst wird ganz einseitig berichtet. So wird etwa der Ukrainer, der der Haupträdelsführer der Sabotage sein soll, seit gestern im Fernsehen vorgeführt. Er trägt Handschellen und ist offensichtlich geschlagen worden. Sein Bruder sagt, er sei entführt und gefoltert worden. Was da alles stimmt, wissen wir nicht. Aber das russische Fernsehen stellt als bewiesen dar, dass die Ukrainer einen Sabotageakt durchführen wollten, der von den Sicherheitskräften auf der Krim in letzter Minute vereitelt werden konnte.»
- Aus Kiew: Kyryl Savin, Politologe
«Seit dem Wochenende ist man in Kiew sehr beunruhigt. Man fürchtet einen grossen Krieg zwischen der Ukraine und Russland – und diesen will natürlich niemand haben. Grundsätzlich besteht die Sorge, dass Russland den Konflikt ausweiten will und jetzt nebst Donbass sozusagen eine zweite Front geöffnet wird. Für die Ukraine wäre das eine Katastrophe. Die Streitkräfte wie auch das Land wären damit völlig überfordert.
Grundsätzlich trauen die Ukrainer ihren Geheimdiensten nicht zu, solche Anschläge auf der Krim geplant zu haben. Das Ganze wird eher als Provokation oder Inszenierung der russischen Seite betrachtet. Wären die Geheimdienste aber tatsächlich dafür verantwortlich, fände dies in der Bevölkerung wenig Rückhalt. Niemand hier will, dass dieser militärische Konflikt weiter eskaliert. Die Leute sind kriegsmüde und suchen eher eine friedliche Lösung.»
Die Gespräche führte Hans Ineichen.