Ein Jahr Pegida in Dresden
Theaterplatz Dresden, gestern Abend. Die Stimmung ist aggressiv. Ebenso die Slogans: «Merkel muss weg» und «Wir sind das Volk» rufen die Teilnehmer. Auch «Volksverräter» ist zu hören – ein Begriff aus dem Vokabular der Nationalsozialisten. Damals war es ein Straftatbestand.
Noch krasser sind die Reden. Der türkisch-deutsche Autor Akif Pirincci spricht von einer «Moslem-Müllhalde» in Deutschland, warnt vor «Umvolkung», bezeichnet die Flüchtlinge als «Invasoren» und nennt Politiker «Gauleiter gegen das eigene Volk».
Redner, die den Spiess umdrehen
Und das sind bei weitem nicht seine schlimmsten Äusserungen. Die Deutschen seien Opfer der Moslems, die ihre Kinder vergewaltigten, sagt Pirincci in einer Sprache, die nicht zitierfähig ist. Und: Jeder Dahergelaufene, der seinen Fuss illegal auf deutschen Boden setze, dürfe für sich und seinen Clan das Recht erzwingen, sich bis zu seinem Lebensende von den «Scheisskartoffeln» auf Luxusniveau verköstigen zu lassen. Kartoffel ist das Schimpfwort für Deutsche.
Die Redner drehen den Spiess um. Sie erklären die Politiker zu den eigentlichen Nazis, den Verrätern am eigenen Volk. Die Deutschen, denen insbesondere die Flüchtlingspolitik nicht passe, würden aufgefordert, das Land zu verlassen, sagt Pirincci. Und schliesst den Gedanken mit folgenden Worten. «Es gäbe natürlich noch andere Alternativen. Aber die KZ sind ja derzeit leider ausser Betrieb». Gejohle unter den Zuschauern.
Erst nach einer halben Stunde rufen einige «Aufhören»
Dreissig Minuten hören die «besorgten Bürger» – als die bezeichnen sich die Protestierenden – Pirincci zu und applaudieren. Erst dann ist von hinten der Ruf «Aufhören» zu vernehmen. Unklar ist aber, ob es zu viel oder zu lange war, was Pirincci sagte.
Ein anderer Redner, Vorname Horst, spricht im Duktus der Nationalsozialisten. Man wähnt sich im Deutschland der dreissiger Jahre. «Das ist Plünderung», schreit er. «Der grosse Raubzug in der Geschichte – an hart erarbeiteten und noch von vielen Generationen zu erarbeitenden Geldsummen, die hier geopfert werden müssen.» Auch für ihn gibt es zustimmendes Johlen.
Es gibt kaum eine konkrete Forderung. Es ist nicht Demokratie, sondern Demagogie auf dem Theaterplatz in Dresden. «Vermutlich gibt es keine zweite Nation, die sich dermassen angewidert zu ihrer eigenen Nationalität bekennt», sagt ein fanatisch klingender Redner. «Es stellt sich heraus, dass Pegida punktgenau den Nerv dieses Volkes getroffen hat.»
«Schweizer sind meine Vorbilder»
Zu sehen sind auch die Schweizer Fahne, kombiniert mit der russischen. «Schweizer sind meine Vorbilder», sagt der Fahnenträger im breiten Sächsisch. Und Putinfreund sei er auch.
Russlandfreunde hat es heute Abend einige. «Die Menschen auf der Krim haben sich mehrheitlich entschieden, dass sie zu Russland wollen», sagt ein Mittvierziger mit Teenager-Sohn. Und wenn sie sich für Ägypten entschieden hätten, wäre es auch in Ordnung gewesen. Es war ja eine Volksabstimmung.»
Vor Beginn der Reden hatten wir uns angenehm über Ziele und Forderungen von Pegida und den Bürgern auf dem Theaterplatz unterhalten. «Ich bin für direkte Demokratie, für Volksabstimmungen», sagte der Familienvater. «Ich bin dafür, dass wir darüber entscheiden können, ob wir mehr Zuwanderung wollen oder ob unsere Soldaten ins Ausland sollen.» Nach der Veranstaltung frage ich den Mann, zu wie viel Prozent er mit den Reden übereinstimme. Bis auf Pirincci und seine derbe Ausdrucksweise sagt er nach kurzem Überlegen: «Etwa 80 Prozent».
«Demokratie gehört zu den wenigen Dingen im Leben, die man nicht ganz erlernen kann», sagt Redner Horst noch in seiner Rede. Und für einen Moment ist man versucht, ihm Recht zu geben.
Doch die Redner von Pegida sind nicht repräsentativ für Deutschland, auch wenn das Schweigen der Zuhörer und ihr Applaus mehr als befremdlich sind. Trotz der Politikverdrossenheit vieler, die das teilweise nachvollziehbare Gefühl haben, sie hätten nichts zu sagen.