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International Arabischer Frühling: Die Demokratie lässt auf sich warten

Vor knapp drei Jahren begannen in der tunesischen Provinz die Proteste, die ein paar Monate später zum Sturz der Autokraten in Tunesien, in Libyen und Ägypten führten. Aber noch heute sind alle drei Länder des arabischen Frühlings weit von einer funktionierenden Demokratie entfernt.

Ein Mann läuft an einem rotschwarzen Graffitti vorbei.
Legende: «Ich träume davon, ein Märtyrer zu sein»: Islamisten haben in vielen Ländern nach dem arabischen Frühling das Sagen. Keystone

Tunesien ringt um eine Verfassung, in Ägypten haben die Militärs wieder die Macht übernommen, und in Libyen liefern sich Rebellen und Regierung blutige Kämpfe: In Nordafrika hat der arabische Frühling nicht das gebracht, was viele gehofft hatten.

Bassam Tibi, in Damaskus geboren und lange Professor für internationale Beziehungen an der Universität Göttingen, analysiert in einem Buch, wieso die Demokratisierung in diesen Ländern bislang nicht gelungen ist.

Politische Kultur und Institutionen fehlen

Dafür gebe es – bei allen Unterschieden – einen gemeinsamen Grund, erklärt der Spezialist für die arabische Welt: «Das Fehlen einer politischen Kultur der Demokratie. Dazu gehören Pluralismus und Teilung der Macht unter den Parteien.»

Demokratie könne zudem nur gedeihen, wenn sie über einen institutionellen Rahmen verfüge, so der emeritierte Professor für internationale Beziehungen. «Die Institutionen sind nicht vorhanden. Man muss sie aufbauen.» Das sei noch nicht geschehen.

Mit den Wahlen, die in Ägypten, Tunesien und Libyen stattgefunden haben, werde diese politische Kultur jetzt «geübt», sagt Tibi. «Das waren die ersten Wahlen in der arabischen Geschichte, die nicht gefälscht waren.» Das sei der Beginn. «Aber das ist nur das A. Darauf folgen die weiteren Buchstaben. Die sind bisher nicht gefolgt.»

Islamisten besser organisiert als säkulare Kräfte

Die Stärke der islamistischen Kräfte im Maghreb erklärt Tibi so: «Es gab in den verschiedenen Diktaturen Überwachungssysteme.» Die einzigen, die es geschafft hätten, diese Überwachung zu überleben, seien islamistische Gruppen gewesen.

«Sie sind organisiert als religiöse Geheimbünde», weiss der Politikwissenschaftler. «Die Geheimdienste haben es nicht geschafft, das zu durchbrechen.» Das habe die Islamisten zur einzigen, organisierten, effektiven Opposition gemacht.

Andere Oppositionelle hätten kein Programm, kein Ziel, keine Führung, keine gute Organisation vorweisen können, sagt Tibi. «Daher: Die einzige Kraft, die sich bei den Wahlen geschlossen präsentieren konnte, waren die Islamisten.»

«Engagement» heisst das Zauberwort

Die Islamisten verfügten je nach Land über einen Anteil von 5 bis 10 Prozent, schätzt der gebürtige Syrer. In Tunesien seien es weniger, in Ägypten 8 oder 9 Prozent. Der Wähleranteil erreiche aufgrund der Ausstrahlungskraft aber bis zu 30 Prozent, gibt Tibi zu bedenken. «Das heisst: In der Politik muss man sie zur Kenntnis nehmen.»

Eine Demokratie erfordere deshalb auch «Engagement», beschreibt es Tibi auf Englisch. «Man muss die Islamisten am politischen Prozess beteiligen.» Man dürfe sie aber nicht die gesamte Macht an sich reissen lassen: «Sonst schalten sie die Opposition aus.» Genau dies sei in Ägypten nach der Wahl Mursis geschehen.

In Tunesien seien die Chancen auf eine funktionierende Demokratie am grössten, auch in Ägypten gehe es vorwärts. «Es sieht so aus, als ob ein Dialog zwischen Islamisten und Nicht-Islamisten stattfindet», sagt Tibi. In Libyen hingegen sei die zivile Regierung nicht in der Lage, die bewaffneten Milizen zu kontrollieren.

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