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International Arbeitslose werden in Ungarn zu Sozialarbeit gezwungen

Ungarns Premierminister Viktor Orban versprach bei seinem Amtsantritt, eine Million neue Arbeitsplätze zu schaffen. Davon ist vier Jahre später, kurz vor den neuen Wahlen, wenig zu sehen. Arbeitslose müssen sich Sozialgelder mit gemeinnütziger Arbeit verdienen. Kritiker sprechen von Zwangsarbeit.

Die Industriestadt Miskolc hat ihre guten Zeiten hinter sich. In der schummerigen Kneipe im Hinterhof einer Plattenbausiedlung – die Männer sitzen an schweren Holztischen bei Bier und Schnaps, gezeichnet von den Anstrengungen des Lebens. Keiner weiss, was morgen ist. Keiner hat eine ordentliche Arbeit oder ein regelmässiges Einkommen.

Wer arbeitet, tut es meist in den kommunalen Beschäftigungsprogrammen, den sogenannten Közmunkas. Arbeitslose müssen sich mit Hilfsjobs ihr Sozialgeld selber verdienen, ansonsten wird es ihnen gekürzt oder ganz gestrichen.

«Stupide Jobs ohne Wertschöpfung»

Imre Toth arbeitet als Wachmann auf einem Campingplatz. Mit zwei Kollegen bewacht er das weitläufige Gelände auch im Winter rund um die Uhr und schaut, dass nichts gestohlen wird: Der 52-Jährige hat früher im Stahlwerk gearbeitet. Miskolc war das Zentrum der ungarischen Schwerindustrie. Davon ist nicht mehr viel übrig. Imre Toths Kollegen von früher sind alle arbeitslos. Wie sie über die Runden kommen, weiss er nicht.

Manche werden wohl irgendwo schwarz arbeiten, andere dürften abgewandert sein. Oder sie sind, wie Imre, in ein kommunales Beschäftigungsprogramm gesteckt worden sein, um Strassen zu kehren, Wälder zu putzen und Werkzeugschuppen aufzuräumen. Für gestandene Berufsleute absolut stupide Jobs ohne jegliche Wertschöpfung, wie sich Imre Toth aufregt: Es sei wie Wasser in einen Brunnen zu schöpfen.

Harsche Sozialpolitik soll Anreize für Arbeitssuche schaffen

«Közmunka» ist ein Programm, das die Regierung Orban vor zwei Jahren auf den Weg gebracht hat: «Die Leute sollen abgeschreckt werden durch eine harsche Sozialpolitik. Das heisst, sie bekommen so wenig Geld von der Sozialhilfe, dass sie besser animiert werden, Arbeit zu suchen», sagt der Politologe Zoltan Kiszelly. Um einen Anreiz zu schaffen, sind die Sätze für die Sozialgelder massiv gesenkt, die Mindestlöhne dagegen leicht angehoben worden.

Zwei Arbeiter stehen herum.
Legende: Die von der Regierung geschaffenen Hilfsjob brauche es nicht und seien eine Farce, sagen Kritiker. Keystone

Programme als Farce

Doch die Idee greife nicht, sagt der Budapester Ökonom Laszlo Akar: Die meisten Jobs seien reine Beschäftigungstherapie. Es gäbe dafür keine Nachfrage, schon gar nicht auf dem freien Markt. Dass aus den «Közmunkas» dereinst echte Arbeitsstellen werden, sei undenkbar, sagt Akar. Wenn, dann müssten die Arbeiten auch Sinn machen und einen Nutzen bieten – und nicht bloss Strafe sein.

Die Programme dienten nur dazu, der steuerzahlenden Bevölkerung zu zeigen, dass man für staatliche Unterstützung nicht bloss auf der faulen Haut liegen könne, sagt der Ökonom.

Kaum ein Entrinnen aus dem Programm

Der Verdacht liegt nahe, dass mit «Közmunka» auch die Statistik geschönt werden soll: die Zahl der registrierten Arbeitssuchenden ist 2013 im Vergleich zum Vorjahr nämlich um über ein Drittel gefallen. Eine solche Botschaft macht sich gut vor den Wahlen. Doch während in der freien Wirtschaft kaum neue Stellen entstehen, steckt die Rekordzahl von einer Viertelmillion Menschen in den kommunalen Beschäftigungsprogrammen.

Und wer einmal in eines dieser staatlichen Beschäftigungsprogramme gezwungen wird, hat kaum Chancen, daraus wieder herauszukommen. Die Möglichkeit zu Aus- und Weiterbildung ist nicht vorgesehen.

Schwarzarbeit als Alternative

Imre Toth, der in Miskolc den Camping-Platz bewacht, um sein Arbeitslosengeld zu bekommen, hat die Hoffnung auf eine normale Stelle aufgegeben. Er überlegt es sich, freiwillig auf die staatliche Unterstützung zu verzichten und auf dem Schwarzmarkt Arbeit zu suchen. Denn mit den knapp 200 Euro, die er im Monat vom Staat bekommt, werde er seine Schulden auf ewig vor sich herschieben müssen.

Der ehemalige Stahlarbeiter ist sauer auf die Politiker, die ihm seiner Meinung nach den Schlamassel eingebrockt haben. Seine Rache: Er geht am 6. April nicht wählen. Mehr kann er nicht tun.

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