SRF News: Heidi Blake, haben Sie die Festnahmen von sieben Fifa-Vertretern heute Morgen in Zürich überrascht?
Wir wussten, dass das FBI die Fifa untersucht. Und wir haben gehört, dass die Amerikaner versuchen werden, internationale Festnahmen in die Wege zu leiten. Aber wir haben nicht zu hoffen gewagt, dass das so kurz vor dem grossen Fifa-Kongress tatsächlich passiert. Das ist schon ziemlich spektakulär.
Die verhafteten Fifa-Funktionäre sollen 100 Millionen Dollar Bestechung kassiert haben. Wissen sie mehr darüber?
Die Fifa hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Bestechungsskandalen erlebt. Den ISL-Skandal zum Beispiel, bei dem Funktionäre viel Bestechungsgeld für Fernsehübertragungsrechte eingesteckt haben. Oder natürlich die Kontroverse rund um die Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 nach Russland und Katar. Auch was ich recherchiert habe – die Bestechungen im Zusammenhang mit der WM-Vergabe an Katar – ist offenbar Teil der FBI-Untersuchung.
Aber 100 Millionen Dollar – das ist eine neue Dimension...
Ja, das stimmt. Wir haben bei unseren Recherchen zu Katar Beweise für etwa fünf Millionen Dollar Bestechungsgeld gefunden. Und wir hatten immer das Gefühl, das sei nur die Spitze des Eisbergs. Aber 100 Millionen Dollar – das ist wirklich Korruption im industriellen Ausmass.
Wie bei früheren Skandalen ist Fifa-Präsident Sepp Blatter auch dieses Mal nicht unter den Angeklagten. Haben Sie bei Ihren Recherchen ein Muster entdeckt, wie er es bis jetzt geschafft hat, immer wieder ungeschoren davon zu kommen?
Nun, Blatter ist eindeutig ein schlauer Mann. Und niemand hat je einen Beweis dafür gefunden, dass er selbst Bestechungsgelder eingesteckt hat. Gleichzeitig vermute ich, dass er sich als Fifa-Präsident halten konnte, weil er sicher stellte, dass Funktionäre, die sich bestechen lassen, nicht allzu streng unter die Lupe genommen werden. Genau diese Funktionäre stellen dann sicher, dass Blatter immer wieder gewählt wird. Die wollen niemanden, der kommt und wirklich aufräumt bei der Fifa.
Die Fifa hat in den letzten Jahren einige Reformen durchgeführt. Haben diese gar nichts bewirkt?
Die Fifa hat nichts unternommen, um das Grundproblem anzugehen: Die Kultur der Intransparenz, die Korruption überhaupt erst möglich macht. Die Fifa weigert sich immer noch, eine offene Wahl der WM-Austragungsorte durchzuführen, sie legt die Löhne ihrer Chefs nicht offen und sie weigert sich, den Untersuchungsbericht von Michael Garcia zur Vergabe der WM 2018 und 2022 zu veröffentlichen. Ohne eine neue Kultur der Transparenz werden diese Probleme weiter bestehen.
Die sieben Männer, die heute verhaftet wurden, sind hochrangige Fifa-Funktionäre. Könnte dies das «dreckige Spiel», wie Sie es in Ihrem Buch nennen, verändern?
Ich freue mich, zu sehen, dass hochrangige Fifa-Funktionäre aussortiert werden, wenn sie sich haben bestechen lassen. Aber das Exekutivkomitee hat 27 Mitglieder. Davon haben die meisten fragwürdige moralische Standards. Es gibt vielleicht zwei bis drei Mitglieder, die tatsächlich Transparenz wollen. Das heisst, es steht ungefähr 3 gegen 24. Da liegt noch ein weiter Weg vor uns.
Andererseits ist es ja schon ein starkes Signal, wenn ein grosses und mächtiges Land wie die USA hohe Fifa-Funktionäre wegen Korruption verfolgt.
Da haben sie recht. Es wird spannend sein, zu sehen, wie sich andere Länder nach diesem klaren Signal der USA verhalten werden. Wollen zum Beispiel die Mitglieder der Uefa, des europäischen Fussballverbands, mit einer internationalen Organisation verbunden bleiben, die so tief im Korruptionssumpf sitzt? Oder sagen die irgendwann: Jetzt ist genug?
Wenn es je eine reelle Chance gab, Blatter an der Fifa-Spitze zu ersetzen, dann wäre jetzt der Moment.
Übermorgen wird der Fifa-Präsident gewählt. Und bis gestern war klar: Zum fünften Mal wird der Sieger Blatter heissen. Hat sich daran heute etwas geändert?
Mal sehen. Aber Sepp Blatters Fähigkeit, einen Skandal nach dem anderen zu überleben, ist unglaublich. Und so wäre ich überhaupt nicht überrascht, wenn er wiedergewählt würde, und sagen würde, gerade jetzt brauche es ihn, um die Fifa durch diese schwierigen Zeiten zu steuern. Andererseits gab es noch nie so viele Risse im Fifa-Gebäude wie jetzt. Wenn es je eine reelle Chance gab, ihn an der Fifa-Spitze zu ersetzen, dann wäre jetzt der Moment.
Das Gespräch führte Roman Fillinger.