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International Brexit – der Startschuss für eine neue Union?

Viele sorgen sich nach dem Brexit um die Zukunft der Europäischen Union. Doch es gibt auch Beobachter, die darin eine Chance sehen. Einer von ihnen ist der Politikwissenschaftler Eckart Stratenschulte.

Eckart Stratenschulte

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Legende: Imago

Der Politikwissenschaftler leitet seit 1993 die Europäische Akademie Berlin, eine von der EU mitfinanzierte Bildungseinrichtung, die Seminare, Konferenzen, Symposien und andere Veranstaltungen zu europäischen Themen durchführt.

SRF News: Die EU verliert eines ihrer wichtigsten Mitglieder. Worin liegt da die Chance für die Union?

Eckart Stratenschulte: Die Chance liegt darin, dass die EU jetzt gezwungen ist, sich neu aufzustellen und sich neu zu strukturieren. Dieser Prozess ist eigentlich überfällig. Jetzt kann er nicht mehr länger vermieden werden. Denn es ist offensichtlich, dass die 28 Mitglieder nicht mehr dieselben Ziele haben. Die EU muss sich neu sortieren. Dazu hat der Brexit den Startschuss gegeben.

Aber besteht nicht die Gefahr, dass ein Dominoeffekt entsteht und die EU am Ende zerbricht?

Das glaube ich nicht. Was geschehen wird, ist, dass die EU im Ergebnis kleiner sein wird, aber stärker und handlungsfähiger. Damit wird sie auch wieder mehr Akzeptanz ihrer Bürger erringen können. Viele Menschen wenden sich von der EU ab, nicht weil sie sich überreguliert fühlen. Sondern weil sie sich sagen, da kommt ja nichts dabei heraus. Grösse alleine ist kein Kriterium. Das heisst: Ja, es wird vermutlich Nachahmer geben. Aber eine EU mit 24, 25 Mitgliedern, die etwas bewegt, ist besser als eine mit 28, die paralysiert ist.

Wie verhindert man, dass sich jeder Staat die Rosinen herauspickt?

Indem man eben wieder zu einer gemeinsamen Verpflichtung kommt. Wir haben ja im Augenblick genau diese Situation, dass es ein gemeinsames Recht gibt, aber sich viele einfach nicht daran halten. Das ist straflos möglich. Ich spreche damit die Flüchtlingskrise an, bei der es gemeinsame Beschlüsse gab, aber einige Staaten sagten, das ist zwar beschlossen, aber das interessiert uns nicht. Wir machen es nicht. Das ist das wirkliche Ende der europäischen Integration, die darauf aufbaut, dass wir Souveränität gemeinsam ausüben, und sich auch alle daran halten.

Insofern glaube ich, dass gerade so eine Stärkung das Rosinenpicken vermeidet. Mit Staaten im äusseren Kreis wie bald Grossbritannien oder auch mit der Schweiz muss man dann die gegenseitigen Interessen verhandeln. Dabei wird es auch immer Rosinen geben in diesem Müsli, aber auch Haferflocken – für beide Seiten.

Es wird immer Rosinen geben in diesem Müsli, aber auch Haferflocken – für beide Seiten.

Die EU müsste sich aber von der über Jahrzehnte gewachsene Vorstellung einer immer engeren Union verabschieden...

Nein, sie muss Abschied nehmen von einer immer engeren Union mit diesen 28 Mitgliedern. Das Ergebnis: Eine immer engere Union in einem kleineren Kreis, der von einem zweiten Kreis umgeben ist, der sagt, uns reicht der Status Quo, mehr wollen wir nicht. Und einem dritten Kreis, der sagt, wir wollen von aussen eng an euch angebunden sein. Zukunftsmodell ist ein Europa der konzentrischen Kreise.

Sehen Sie in Europa eine Bereitschaft dazu?

Es gibt nach wie vor in einer Reihe von Mitgliedstaaten die Bereitschaft, die Zukunft wirklich gemeinsam zu gestalten, und dafür auch Souveränität abzugeben. Es gibt einen zweiten Kreis von Staaten, die sagen, mehr Souveränität wollen wir nicht abgeben. Damit haben wir schon zwei Kreise. Dann haben wir einen mit Grossbritannien, das zwar sagt, wir wollen eng mit der EU verbunden bleiben. Aber wir wollen diese Verbundenheit von aussen herstellen. Damit haben sich die drei Kreise schon automatisch ergeben.

Das Zukunftsmodell ist ein Europa der konzentrischen Kreise.

Eine EU mit diesen unterschiedlichen Integrationstiefen, wie Sie sie schildern, erfordert aber auch andere Institutionen...

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Das ist genau das Problem. Das hat Auswirkungen auf die institutionelle Ebene. Vor allem auf die Gemeinschaftsinstitutionen, also bei der Kommission und beim Rat. Da ist vieles noch nicht durchdacht. Auch ich habe nicht die Patentlösung in der Tasche. Aber wenn wir anfangen, darüber nachzudenken, wird es uns auch gelingen, das entsprechend aufzustellen.

Bisher haben wir darüber ja nicht nachgedacht. Wir hatten jetzt auch schon die unbefriedigende Situation, dass zum Beispiel im Europaparlament viele über den Euro mitbestimmt haben, deren Land den Euro gar nicht hat und auch nicht haben will. Auch das ist ein demokratisches Problem, wenn Entscheidung und Verantwortung zusammenfallen müssen. Insofern wird es eine Neustrukturierung der Institutionen bedürfen. Beim Rat ist das einfach. Da kann man sagen, da setzen sich 27 zusammen und fünf gehen raus und besprechen weitere Punkte. Beim Parlament und der Kommission muss man das anders vorgehen. Aber ich bin ganz hoffnungsvoll, dass uns das gelingen wird.

Das Gespräch führte Roman Fillinger.

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