Der lang erwartete Termin für das grosse Verfassungsrevisions-Projekt von Italiens Premier Matteo Renzi steht fest: Am 4. Dezember sind die Italienerinnen und Italiener zur Urne gerufen, um darüber abzustimmen, ob die meisten Gesetzesentwürfe künftig nur noch der Abgeordnetenkammer vorgelegt werden sollen.
Die Verfassungsrevision sieht vor, dass die zweite Parlamentskammer, der Senat, nur noch bei bestimmten Gesetzen mitbestimmen würde, etwa, wenn es um ethische Fragen oder Verfassungsänderungen geht.
SRF News: Warum ist die von Premier Renzi initiierte Verfassungsreform so brisant?
Franco Battel: Der Senat, die kleine Parlamentskammer, soll weitgehend entmachtet werden, er soll nur noch bei einzelnen Gesetzen mitreden. Auch könnte der Senat der Regierung das Vertrauen nicht mehr entziehen und er hätte keine Mitsprache beim Budget mehr. Renzi und die Befürworter der Reform argumentieren, Italien würde dadurch effizienter und besser regierbar.
Wie argumentieren die Gegner der Reform?
Sie sagen, Italien würde durch die Verfassungsreform autoritärer. Die geltende Verfassung wurde nach dem Krieg, nach Faschismus und Mussolini, geschaffen. Damals versuchte man explizit, im politischen System möglichst viele Gegengewichte zur Regierung zu etablieren. So wurden die gleichberechtigten grosse und kleine Parlamentskammer geschaffen, die beide die Regierung zu Fall bringen können. Damit sollte eine mögliche Wiederholung des Faschismus verhindert werden. Nun sagt Renzi, Italien habe diese Probleme und Risiken überwunden. Zudem gebe es auch andere Länder in Europa, die über bloss eine Parlamentskammer verfügten. Die Gegner ihrerseits bezeichnen dies als Scheinargumentation.
Renzi muss Wähler aus der politischen Mitte auf seine Seite ziehen.
Renzi hatte bei der Ankündigung der Reform die Volksabstimmung an seine politische Zukunft geknüpft. Wieso ist er inzwischen davon wieder abgerückt?
Renzi hat sich selbst überschätzt. Er dachte wohl, dass ihm die Sympathien nur so zufliegen, wenn er das Referendum mit seiner Person verknüpft. Das ist aber nicht so. Renzi kommt mit seinem Partito Democratico in der Bevölkerung auf eine Zustimmung von etwa 30 bis 40 Prozent. Das heisst: Mindestens 60 Prozent der Italienerinnen und Italiener sind gegen ihn. Wenn sie zusammenhalten und alle gegen das Referendum – sprich gegen Renzi – stimmen, dann würde er es verlieren. Renzi ist klar geworden, dass er sich verspekuliert hat und versucht nun, wieder von der Personifizierung abzurücken. Er stellt jetzt die Vorteile der Reform in den Fokus seiner Argumentation.
Peppe Grillo und seine Fünf-Sterne-Bewegung lehnen die Verfassungsreform ab. Was heisst das für den Ausgang der Volksabstimmung?
Das ist für Renzi sicher ein Handicap, denn Grillo verkörpert und mobilisiert in Italien den Protest. Wichtiger für Renzi ist, für die Verfassungsänderung auch Stimmen aus der politischen Mitte zu erhalten. Neben den Anhängern beispielsweise von Ex-Premier Silvio Berlusconi und der katholischen Mitte muss Renzi aber auch seine eigenen Parteianhänger mobilisieren. Denn auch innerhalb des Partito Democratico gibt es Leute, die gegen die Reform sind, weil sie ihnen zu autoritär ist.
Wie stehen die Chancen für Renzi, die Volksabstimmung Anfang Dezember zu gewinnen?
Das ist derzeit schwierig zu sagen, weil sich viele Italiener noch keine Meinung dazu gemacht haben. Es kommt nur selten vor, dass sie an der Urne über eine Verfassungsänderung abstimmen. Zudem geht es um ein abstraktes Thema, mit dem ein Gutteil der Italiener wohl nicht viel anfangen kann. Bislang liegen von jenen, die bereits wissen, wie sie abstimmen werden, beide Lager in etwa gleichauf.
Das Gespräch führte Barbara Büttner.