Am Parteitag im südenglischen Brighton übte Labour-Chef Ed Miliband schon einmal die Verwandlung vom Oppositionsführer zum Premierminister im Wartestand. Doch die Zweifel der Stimmbürger dürften sich nicht so leicht beseitigen lassen. Die Erinnerung an Labours letzte Regierungszeit ist noch zu frisch. Gut anderthalb Jahre vor der nächsten Parlamentswahl kämpft Miliband deshalb immer noch darum, als Alternative ernst genommen zu werden.
Bescheidene Ansprüche an Premier
Ed Miliband hatte seinen eisernen Willen unter Beweis gestellt, als er 2010 seinen eigenen Bruder mithilfe der Gewerkschaften im Rennen um den Parteivorsitz herausforderte und schlug. Am Parteitag in Brighton zeichnete er jetzt ein Bild von sich als unerschrockener Verteidiger des kleinen Mannes.
Die wichtigste Qualifikation für einen Premierminister sei die Gabe, zuhören zu können. Das ist bescheiden. Und so war denn auch diese frei gehaltene Rede eher für die Anspruchslosen. Jene, die in Meinungsumfragen zwar Labour unterstützen, nicht aber Ed Miliband – den etwas linkischen, theorielastigen Sohn eines marxistischen Professors – werden heute kaum ihre Meinung geändert haben.
Europa und das Defizit ausgeklammert
Er sei die Führung für die Briten, sagte Miliband. Das klang etwas vollmundig. Mehr Krippenplätze und ein beaufsichtigtes Frühstück in der Primarschule sind zwar löblich und praktisch, aber in einem Land, das an allen Ecken und Enden nach Strukturreformen verlangt, zu wenig. Miliband schwankte zwischen Überzeugung und Anbiederung. Und Europa kam in seiner Rede gar nicht erst vor.
Neue Zückerchen werden durch neue Abgaben für Banken und Grosskonzerne finanziert, aber der dicke Elefant im Raum fehlte in dieser Rede: das Defizit. Die Briten geben jeden Monat umgerechnet rund 15 Milliarden Franken mehr aus als sei einnehmen, und Labour weigert sich zu sagen, wo die Axt in Zukunft fallen soll.
Mitverantwortung für Krise und Intrigen
Milibands Problem ist simpel: Er und sein künftiger Finanzminister Ed Balls waren die gefügigen Gehilfen des früheren Finanz- und Premierministers Gordon Brown. Sie haften mit für das Schlamassel, das die heutige Regierung erbte. Und sie waren Teil der Kabale um Brown, die innerparteiliche Gegner mit Verleumdungen und Intrigen fertigmachte. Ein neues Buch illustriert dies erneut in diesen Tagen.
Miliband muss sich also stets zwei Fragen gefallen lassen: Warum hat Labour ihre Vorschläge nicht schon im Wahlkampf vor drei Jahren gemacht? Und: Wer kann neuen Versprechungen glauben, wenn die alten nicht erfüllt wurden?
Kritik an Camerons Wirtschaftspolitik
Labour kämpft um Glaubwürdigkeit und um ökonomische Kompetenz. So beklagte Miliband heute den Kaufkraftschwund während der Krise, den schlimmsten seit 1870, wie er sagte. Diese Krise der verfügbaren Einkommen sei kein Zufallsprodukt der Wirtschaftspolitik von David Cameron, sondern es sei seine Wirtschaftspolitik.
Das war wirkungsvoll, aber etwas billig. Grossbritannien könne besser sein als jetzt, und unter seiner Führung werde das geschehen, versprach Miliband. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass der Inselstaat seinen Bürgern eine bessere Lebensqualität bieten könnte, aber die Rezeptlein, die heute feilgeboten wurden, werden das Land dem Paradies nicht massgeblich näher bringen.