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Cameron blickt kritisch zur Seite, neben ihm ein anderer Redner, unscharf.
Legende: Die europafeindliche UKIP kommt gut an bei den Leuten. Aber auch in Camerons eigener Partei gibt es Brexit-Fans. Reuters

International Britischer Premier will keinen Bruderzwist vor laufender Kamera

Die Abstimmung über einen Austritt der Briten aus der EU rückt näher. Das gäbe genügend Stoff für grosse Debatten im Fernsehen. Doch der Premier will die Brexit-Befürworter nicht noch anfeuern, indem er öffentlich gegen Kritiker in der eigenen Partei antritt, meint SRF-Korrespondent Martin Alioth.

Martin Alioth

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Porträt Martin Alioth

Der Grossbritannien- und Irland-Korrespondent von Radio SRF lebt seit 1984 in Irland. Er hat in Basel und Salzburg Geschichte und Wirtschaft studiert.

SRF News: Heute startet der Brexit-Abstimmungskampf auf Fernsehkanälen wie BBC und Sky. Cameron will aber nicht an grossen TV-Duellen teilnehmen. Warum?

Martin Alioth: Des Pudels Kern Ihrer Frage liegt im Wort «gross». Denn natürlich lancieren die Fernsehsender im Vereinigten Königreich eine ganze Reihe von angeblichen Debatten. Aber es sind eigentlich keine. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder werden die grossen Tiere nacheinander interviewt, sei es von einem Journalisten oder vom Publikum. Oder kleinere Tiere streiten miteinander. Aber der Zusammenprall der Titanen – zumindest der verbale – wird nicht stattfinden.

Wenn die grossen TV-Sender nun also eher auf langweilige Frage-Antwort-Sendungen setzen, durchschauen das die Zuschauer denn nicht?

Doch, gewiss. Und wenn sie Zeitungen lesen, müssen sie nicht einmal hellseherische Fähigkeiten haben. Sie wissen, dass sich die Downing Street, also das Amt des Premierministers, strikt und erfolgreich geweigert hat, diesen Titanen-Clash zu erlauben, also Cameron gegen die Wortführer der Brexit-Kampagne antreten zu lassen. Die Fernsehsender hatten keine Zwangsmittel und mussten sich beugen.

Diese toxische Auseinandersetzung innerhalb der Partei ist nach dem 24. Juni nicht vorbei.

Vor wem fürchtet sich Cameron denn besonders?

Vor den prominenten Brexit-Befürwortern in seiner eigenen Partei, in seinem eigenen Kabinett. Namen wie Boris Johnson, bis vor kurzem Bürgermeister von London, aber auch Michael Gove, immer noch Justizminister, und Iain Duncan Smith, bis vor kurzem Sozialminister. Das sind die engsten Vertrauten und zum Teil auch Rivalen des Premierministers. Und er, Cameron, will um jeden Preis eine so genannte «blue on blue»-Konfrontation (die Farbe der konservativen Partei ist blau) vermeiden, um die Gräben in seiner eigenen Partei nicht noch tiefer zu machen.

Wer ist der lachende Dritte und profitiert von diesem Grabenkampf bei den Tories?

Das ist sehr schwer zu sagen. Es könnte sehr wohl sein, dass das letztendlich die fremden- und europafeindliche UKIP-Partei sein wird. Wenn es denn nach dem Referendum, egal wie der Ausgang ist, zu einer Flurbereinigung kommt, und jene unverbesserlichen Antieuropäer innerhalb der konservativen Partei einsehen müssen, dass sie vielleicht in der falschen Partei sind.

Ungeachtet des Abstimmungsresultats, was bedeutet das für die Zeit danach? Schwächt das die Regierung Camerons?

Ja, und dies sogar sehr nachhaltig. Ich bin nicht der einzige, der das glaubt. Diese toxische Auseinandersetzung innerhalb des Kabinetts, innerhalb der konservativen Partei, ist nach der Brexit-Abstimmung am 24. Juni nicht vorbei. Denn es lässt sich sehr leicht beobachten, wie gerade Minister, die für den Brexit eintreten, eine gewisse Hemmschwelle verloren haben. Sie kritisieren jetzt nicht nur die Europapolitik der Regierung, was ihnen freigestellt ist, sondern auch andere Aspekte der Regierungspolitik. Sie zweifeln die Glaubwürdigkeit von Institutionen an, die über dem Parteienstreit stehen. Ob das nun das Schatzamt, das Finanzministerium, oder wie gestern gerade, das unabhängige Wirtschaftsforschungsinstitut ist.

Das Gespräch führte Marlen Oehler.

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