Am Sonntag wird im Armenhaus der EU ein neues Parlament gewählt. Doch statt auf Aufbruch stehen die Zeichen auf Stillstand und Chaos.
Beste Aussichten auf die meisten Stimmen hat die konservative Partei GERB von Boiko Borissow. Dabei hatte der Ex-Ministerpräsident im Februar vor den Protesten der Strasse kapituliert und das Handtuch geworfen. Laut Umfragen wird Borissow aber bei weitem nicht auf genügend Stimmen für die Bildung einer stabilen Regierung kommen.
Krise dürfte andauern
Erhebungen sehen die GERB bei rund 24 Prozent, die sozialistische BSP bei etwa 20 Prozent. Auf 6 bis 12 Prozent kann das Sammelbecken der muslimischen Minderheit und der ethnischen Türken MDL hoffen. Auch die fremdenfeindliche, nationalistische Ataka wird mit 6 bis 9 Prozent klar ins Parlament einziehen.
Beobachter erwarten angesichts der zersplitterten Parteienlandschaft nichts Gutes: «Was immer das Ergebnis sein mag, die politische Krise wird fortdauern», schätzt Ognyan Minschew vom Institut für Regionale und Internationale Studien. «Die Regierungsbildung wird nahezu unmöglich.»
Mafiöse Clans teilen sich die Pfründen
Im Wahlkampf spielte die Krise zwar eine Rolle, doch die angebotenen Rezepte seien alles andere als originell gewesen, sagt Marc Lehmann, der Osteuropakorrespondent von Radio SRF. Neue Jobs, Korruptionsbekämpfung, Stärkung des Rechtsstaats – das alles sei richtig, aber nicht neu: «Solche Parolen hört man seit Jahren.»
Das Hauptproblem sieht Lehmann in der «totalen Abhängigkeit» der Wirtschaft von der Politik: Die mafiösen Clans aus Wirtschaft und Politik teilten sich die Pfründen. «Wer sich mit der Regierung gut stellt profitiert. Alle anderen werden aus dem Markt gedrängt.» Dies habe in den vergangenen Jahren zu einer regelrechten Pleitewelle von kleinen und mittleren Unternehmen geführt. Entsprechend stieg auch die Arbeitslosigkeit in Bulgarien an.
«Man müsste diese Oligarchie aufsplittern, damit ein echter Markt und Arbeitsplätze entstehen», ist der SRF-Korrespondent überzeugt. Doch dafür müsste das bulgarische Volk nun den altgedienten Politikern die Gefolgschaft verweigern und neue Köpfe wählen.
Kaum eine Wahl
Tatsächlich aber haben die Bulgarinnen und Bulgaren nur die Wahl unter den Parteien, gegen die sie im Winter protestiert hatten. Kritiker werfen Borissow vor, aus Kalkül im Februar zurückgetreten zu sein, nur wenige Monate vor dem regulären Ende seiner Amtszeit.
Denn so blieb der Protestbewegung keine Zeit, vor der vorgezogenen Neuwahl aus der massiven Unzufriedenheit der Menschen politisches Kapital zu schlagen.
Abhörskandal dominiert Wahlkampf
Borissow stoppen könnte wohl einzig ein Abhörskandal, der zum Hauptthema des Wahlkampfs mutierte.
Die von den Medien in allen Details ausgebreitete Affäre um Ex-Innenminister Zwetan Zwetanow, der ein Drahtzieher der Abhöraktionen sein soll und jetzt den Wahlstab der Partei GERB leitet, war offensichtlich spannender als die Wahlkonzepte der Parteien.