Die Parlamentswahlen in Bulgarien haben keine klaren Mehrheiten gebracht: Den Sieg errang die Partei des zurückgetretenen Regierungschefs Borissow. Seine konservative Gerb kann mit gut 31 Prozent der Stimmen rechnen. Auf den zweiten Platz kommen die oppositionellen Sozialisten. Sie erhielten gemäss dem Zwischenergebnis nach Auszählung von gut zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gut 27 Prozent.
Keine Partei hat Regierungsmehrheit
Hinter den beiden grossen Parteien ziehen auch die MRF-Partei der türkischen Minderheit mit gut 9 Prozent und die nationalistische Ataka mit rund 7,5 Prozent ins Parlament ein. Da keine Partei die absolute Parlamentsmehrheit erreicht hat, zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab.
Vertreter der Gerb kündigten an, dass ihre Partei wieder eine Minderheitsregierung bilden wolle. So hatte Ministerpräsident Boiko Borissow bereits bis vergangenen Februar regiert.
Die Sozialisten forderten die Gerb umgehend auf, auf die Bildung einer neuen Regierung zu verzichten, um das Land nicht «weiter zu destabilisieren». Parteichef Sergej Stanischew sagte, die Sozialisten wollten eine «breite Programmregierung zur Rettung des Landes» bilden, voraussichtlich mit der liberalen Bewegung der türkischen Minderheit und Vertretern ausserparlamentarischer Parteien.
Der Chef der fremdenfeindlichen Ataka schloss eine weitere Parlamentswahl im Herbst nicht aus. Er liess offen, ob seine nationalistische Partei eine Koalition mit der Gerb oder mit den Sozialisten eingehen werde.
Kein Vertrauen in Borissow
Laut Einschätzung von Marc Lehmann, dem Osteuropa-Korrespondenten von Radio SRF, wird Borissow zwar zunächst den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Allerdings dürfte es für ihn schwierig werden, einen Koalitionspartner zu finden.
Keine der drei anderen Parteien, welche es ins Parlament geschafft haben, will mit Borissow regieren. «Sie haben kein Vertrauen in ihn», sagt Lehmann, der die Wahl in Sofia mitverfolgt hat. Entsprechend sei völlig unklar, wie die Patt-Situation gelöst werden soll.
Umstände spielten Borissow zu
Zu den vorgezogenen Neuwahlen kam es, nachdem die Minderheitsregierung der Gerb im Februar von Massenprotesten gegen die Armut und die weit verbreitete Korruption zum Rücktritt gezwungen worden war.
Nun hat dieselbe Partei erneut am meisten Stimmen erhalten. Der SRF-Korrespondent sieht drei Gründe dafür: Erstens habe Borissow während seiner Regierungszeit viele Abhängigkeiten geschaffen: Jene, die dem Ex-Premier ihre Arbeitsstelle oder Aufträge verdankten, wollten augenscheinlich keine Veränderungen.
Zudem gebe sich Borissow sehr volksnah. Er spreche in einer verständlichen Sprache und wisse seine Taten medial gut zu inszenieren. Und schliesslich hätten die Protestbewegungen, welche die Regierung im Februar zum Rücktritt zwangen, im Wahlkampf eine schlechte Figur abgegeben. «Sie hatten kein Programm und keine Köpfe – sie waren praktisch nicht wählbar», sagt Lehmann. Ein weiterer Punkt, der Borissow zuspielte, sei die tiefe Wahlbeteiligung von nur rund 50 Prozent.
Zu den Wahlbetrugs-Vorwürfen sagt Lehmann: «Es steht ausser Zweifel, dass es zu Wahlfälschungen und Stimmenkäufen gekommen ist – trotz der vielen internationalen Beobachter.»