Zum Inhalt springen

International Calais: Wo die Hoffnung stirbt

Hunderte von illegalen Migranten sind in der Stadt Calais gestrandet, im Norden von Frankreich. Der Ärmelkanal ist für sie zum unüberwindbaren Hindernis geworden auf ihrer Reise ins Glück.

Sie sitzen auf dem Boden, den Blick gesenkt. Die jungen Männer dunkler Hautfarbe kauern unter dem Vordach einer leerstehenden Mehrzweckhalle, im Stadtzentrum von Calais. Sie sind auf der Durchreise. Ihr Reiseziel – Grossbritannien. Sie stammen aus Eritrea, Somalia oder dem Sudan und möchten auf den britischen Inseln neu anfangen. Ihre Mützen und Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, warten sie auf die nächste Gelegenheit.

Michael Gerber

Box aufklappen Box zuklappen

Michael Gerber war von 2011 bis 2017 Frankreich-Korrespondent des SRF. Davor war der 46-Jährige vier Jahre Korrespondent in der Westschweiz und ebenfalls vier Jahre Redaktor und Reporter von «10vor10».

Sobald ein Lastwagen durch den Kreisel fährt und Richtung Fährhafen abbiegt, kommt Bewegung in die Gruppe. Jeder Lastwagen birgt eine neue Chance, aus Calais weg zu kommen und – zwischen Kisten versteckt – mit der Fähre den Ärmelkanal zu überqueren.

Die Hoffnung dauert nur kurz

Täglich versuchen Dutzende Migranten, in die Lastwagen zu klettern, wenn diese an einer Kreuzung abbremsen müssen. Für die meisten ungebetenen Mitfahrer endet aber die Reise bereits wenige Minuten später wieder: Beim Fährhafen von Calais werden sie vom Lastwagenfahrer oder von der Polizei entdeckt.

«Ich lasse mich von der Polizei nicht aufhalten», sagt Abdelkarim. Er stammt aus dem Südsudan und hat das Mittelmeer in einen Fischkutter überquert. «Das war sehr gefährlich. Und ich glaubte, den Ärmelkanal zu überqueren werde ein Leichtes sein.»

Überforderte Polizisten

Gegenwärtig halten sich fast 1500 Migranten in Calais auf und versuchen ihr Glück immer wieder. Im Hafen ist die Polizeipräsenz ist in den letzten Wochen verstärkt worden. Trotzdem sind die Polizisten mit dem Andrang überfordert.

Die Stadtregierung spricht von einer unhaltbaren Situation. Stadtpräsidentin Natacha Bouchart von der konservativen Oppositionspartei UMP hat das Innenministerium schon im Frühsommer aufgefordert, endlich aktiv zu werden. «Jetzt ist genug, so kann es nicht weiter gehen. Wir können mit 300 oder 400 Migranten leben. Doch inzwischen sind es drei bis vier Mal so viele.» Bouchart forderte das Innenministerium auf, ein Aufnahmezentrum einzurichten.

Innenminister will kein Zentrum

Davon will der sozialistische Innenminister Bernard Cazeneuve allerdings nichts wissen: «Ich kann nicht die illegale Migration bekämpfen und gleichzeitig ein solches Zentrum errichten, das diese Migration begünstigt», erklärte er Ende August gegenüber der Zeitung «Le Monde».

Nichts tun, sei keine Lösung, antwortete ihm die bürgerliche Stadtpräsidentin. «Ich akzeptiere nicht länger, dass meine Stadt die Endstation für Hunderte von Migranten ist.» Sie verlangte, dass die Schengen-Regeln angepasst und Grossbritannien in die Pflicht genommen werde, sich an der Lösung des Problems zu beteiligen. Denn die in Calais gestrandeten Migranten wollten allesamt auf die britischen Inseln ausreisen.

London will helfen

«Das Vereinigte Königreich teilt die Sorge der französischen Regierung und der Stadt Calais über den wachsenden Strom von Migranten aus Nordafrika», teilten Paris und London am 20. September mit. An einem Treffen hatten die beiden Innenminister vereinbart, ihre Zusammenarbeit zu verstärken. Unter anderem soll um den Hafen von Calais herum ein neuer, rund 4 Meter hoher Sicherheitszaun errichtet werden, um die Migranten vom Lastwagenterminal fern zu halten.

London ist bereit, in den nächsten drei Jahren 15 Millionen Euro dafür nach Paris zu überweisen. Das Innenministerium prüft ausserdem, in Calais eine Anlaufstelle für die Migranten einzurichten – mit sanitären Anlagen und einer medizinischen Grundversorgung. Schlafplätze sind in der Anlaufstelle keine vorgesehen.

Meistgelesene Artikel