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Zwei Beamte und Passant rauchen, aufgenommen in Peking
Legende: Mehr als blosse Nikotinzuführung: In China ist Rauchen ein Ritual – das Türen öffnet. Reuters

International China – ein einig Volk von Rauchern

Nirgendwo auf der Welt wird so viel geraucht wie in China. Und nirgendwo ist man so stolz darauf. Nun will die Partei das Volk umerziehen – sie tut dies aber mit angezogener Handbremse. Ein Augenschein im Reich des blauen Dunstes.

«Rauchen ist schlimmer als Smog», warnt der Vertreter der Weltgesundheitsorganisation in Peking, Bernhard Schwartländer. Zielgruppengerecht lobbyiert der deutsche Mediziner im Reich der Mitte gegen das giftige Laster – und rennt damit, zumindest auf den ersten Blick, offene Türen ein.

Bereits 2005 ist China der WHO-Konvention zur Kontrolle des Tabakkonsums beigetreten. Ab Juni zündet die Kommunistische Partei, gegründet vom Kettenraucher Mao, die nächste Eskalationsstufe: Steuererhöhungen von fünf bis elf Prozent sollen die Nichtraucher-Quote erhöhen – und die Gesundheitskosten senken.

Raucherparadies China

Die Erfolgsaussichten sind ungewiss. Denn die Chinesen frönen dem Laster ungehemmt: 300 Millionen Raucher gibt es im Land, rund zwei Drittel der männlichen Bevölkerung. Und sie tun es in der Mitte der Gesellschaft: Ganze 700 Millionen zählen zu den Passivrauchern.

Die Lust am Laster nimmt mitunter skurrile Züge an, wie SRF-Asien-Korrespondent Urs Morf ausführt: «In Peking stehen die Aschenbecher in vielen Restaurants und Kneipen direkt unter den Klebern mit dem Rauchverbot.» So gilt es in gewissen Kreisen als Affront, auf den Glimmstengel am Esstisch zu verzichten, schildert Morf: «Es gehört zum guten Ton, sich gegenseitig Zigaretten anzubieten.»

Denn Rauchen ist fest verankert im Gesellschafts- und und vor allem Geschäftsleben: Je teurer die Marke, desto mehr Prestige ist dem edlen Gönner sicher. «Die Anti-Korruptionskampagne hat hier schon ein bisschen ‹eingeschenkt›.»

Die «Elite-Zigaretten», die umgerechnet bis zu 60 Franken kosteten, hätten oft auch als «Geschenk» für höhere Beamte gedient. «Die sind total aus der Mode gekommen.» Von gleich zu gleich sei das Ritual aber ungebrochen. Stangenweise würde das etwas eigene Symbol von Anerkennung und Dankbarkeit auch weiterhin verschenkt.

Abstinente Elite...

Verzogen hat sich der Dunst bei der Elite. In der Oberschicht werde praktisch nicht mehr geraucht, so Morf. «In der Partei ist das Rauchen schon seit Jahren total verpönt.» Jüngere Mitglieder verzichteten aus karrieretechnischen Gründen auf den Glimmstengel. Die Elite und die Akademiker seien sich dagegen der Schädlichkeit bewusst – ganz im Gegensatz zur einfachen Bevölkerung.

Trotzdem ist aber auch die Elite gespalten – denn zu persönlichen, gesundheitlichen Überlegungen gesellen sich auch wirtschaftliche. Die staatliche Tabakindustrie ist der grösste Zigarettenproduzent der Welt – noch vor den Anbietern aus den USA und Europa. Zudem ist die Staatsindustrie bestens mit Pekings innerem Zirkel vernetzt. Bis Februar stand ihr der Bruder von Ministerpräsident Li Ketiang vor. Er wurde wegen seiner rigiden Haltung gegen die staatliche Anti-Raucher-Kampagne versetzt.

...mit zwiespältigen Interessen

Die Kommunistische Partei weiss um die wirtschaftliche Bedeutung der Industrie. Das Tabakmonopol bringt riesige Steuereinnahmen – bis zu sieben Prozent der Staatseinnahmen. Drastischere Massnahmen, wie etwa die in Thailand ungemein erfolgreichen «Horrorbilder» auf Zigarettenpäckchen, stünden nicht zur Debatte, sagt Morf.

So bleibt offen, ob die mahnenden Worte von WHO-Repräsentant Schwartländer im Reich der Mitte tatsächlich nachwirken. Zwar fänden auch die Parteikader: «Mit dem Rauchen aufzuhören, der beste Schritt zu einem gesünderen Leben». Darüber, ob es auch die beste Medizin für Chinas Wirtschaft ist, dürften die Meinungen auseinandergehen.

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