Lu Wei galt als Energiebündel: Ein Workaholic sei er, sagen die, die ihn kennen. Einer, der nicht lange um den heissen Brei herumrede, auch wenn es um die Zensur im Internet geht: Lu machte allen klar, dass China das Recht habe, im eigenen Land Internet-Seiten zu sperren – auch solche aus dem Ausland.
Einer der Mächtigsten
Das verlieh ihm Macht, die weit über China hinausreichte. Das amerikanische Magazin Time zählte den 56-Jährigen letztes Jahr zu den hundert einflussreichsten Männern des Planeten.
Wie wichtig Lu für die amerikanische IT-Industrie war, macht sein Besuch in den USA vom September 2015 deutlich. Am Microsoft Firmensitz in Redmond traf der chinesische Spitzenbeamte auf IT-Unternehmer aus dem ganzen Land. Die Gästeliste liest sich wie das Who-is-Who der Branche: Satya Nadella und Bill Gates (Microsoft), Mark Zuckerberg (Facebook), Jeff Bezos (Amazon), Tim Cook (Apple), ...
Das zeigt: Wer in China im Internet präsent sein will, kommt am Chef der Internet-Aufsicht nicht vorbei.
Verantwortung und Technologie
Die Kontrolle über das Netz in China spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab, auf einer rechtlichen und auf einer technologischen. In dutzenden von Gesetzen und Regulierungen ist festgelegt, wer etwa verantwortlich ist für die Verbreitung von Inhalten.
Neben den Internet-Dienstleistern sind das auch IT-Firmen wie die Betreiber der in China sehr beliebten Mikro-Blogs (Weibo). Sie haften für Texte, die Nutzerinnen und Nutzer auf den Plattformen publizieren. Dazu gehört auch die «Verbreitung von Gerüchten», die unter der chinesischen Gesetzgebung strafbar ist.
Soziale Netzwerke sind auch dazu verpflichtet, den Behörden einen Zugang zu ihren Servern zu gewähren. Über diese Hintertür können Zensoren jederzeit unliebsame Inhalte entfernen. Bei geschätzten 700 Millionen aktiven Internet-Nutzern in China bedeutet das viel Arbeit.
Zwei Millionen «Meinungsanalysten» seien damit beschäftigt, die Veröffentlichungen in den Mikro-Blogs zu überwachen, berichteten 2013 staatliche chinesische Medien in seltener Offenheit. Bezahlt werden diese Spezialistinnen vom Staat, aber auch von privaten Firmen.
Deren Aufgaben überschneiden sich oft mit denjenigen, die positive, regierungsfreundliche Beiträge schreiben. Die chinesische Internetgemeinde nennt sie gerne «50 Cent Party» - nach dem angeblichen Betrag, der pro Kommentar bezahlt wird. Gleichzeitig arbeitet auch ein Heer von Freiwilligen mit, wie eine kürzlich erschienen Studie der Harvard-Universität zeigt.
Nulltoleranz
Seit dem Jahr 2013 ist der neue Präsident Xi Jinping im Amt. Parallel dazu, unter der Ägide von Lu Wei, wurde die Schraube in den letzten drei Jahren angezogen, die Kontrolle über das chinesische Internet verschäft. Im September 2013 haben die Behörden hunderte Mikro-Blogger in Haft genommen. Ihnen wird die Verbreitung falscher Behauptungen vorgeworfen.
Zur gleichen Zeit hat das höchste chinesische Gericht festgelegt, was als Onlinegerücht gilt und wie die Verbreitung zu bestrafen ist, wie die New York Times berichtete . Dabei gilt: Kritik an korrupten Beamten ist gestattet. Gilt jedoch eine Meldung als verleumderisch und wird diese mehr als 500 mal weiterverbreitet oder mehr als 5000 mal gelesen, so kann dies mit Gefängnis mit bis zu drei Jahren bestraft werden. Als Vater dieser Regelung gilt der scheidende Lu Wei.
Nähe zum Staatschef
Warum Lu den Hut nimmt, ist nicht bekannt. Auch über seinen Nachfolger Xu Lin weiss man nicht viel: Er ist ein enger Vertrauter von Staatschef Xi Jinping. Bereits 2007 haben die beiden eng zusammengearbeitet, als Xi noch Parteisekretär in Shanghai war und Xu Chef der Propaganda-Abteilung. Dass die Führung der Internet-Aufsicht mit einem engen Vertrauten des Staatschefs besetzt wird, zeigt einmal mehr, wie wichtig das Amt ist.