Die Nachricht vom Terrorakt auf dem Bahnhof der südwestchinesischen Metropole Kunming verbreitete sich rasend schnell – dank Weibo, einem chinesischen Mikroblogging-Dienst. Über das mutmasslich von uigurischen Separatisten verübte Massaker kursierten praktisch in Echtzeit blutige Berichte und Bilder – von 29 getöteten Reisenden, vier erschossenen Tätern und über 140 Verletzten.
SRF: Wann haben Sie die ersten Meldungen auf Weibo gesehen?
Urs Morf: Ich wurde am frühen Sonntagmorgen von einem Freund alarmiert. Bekannte berichteten, dass die ersten Meldungen bereits 40 Minuten nach Beginn des Massakers am Samstagabend auf Weibo erschienen sind.
Was sahen Sie?
Wie bei Weibo üblich, gab es vor allem Bilder. Und zwar grauenhafte Bilder von im Blut liegenden Menschen. Dazu Spuren von Massenpanik wie verstreute Schuhe und Gepäckstücke. Es folgten Kurzberichte von Betroffenen und sehr schnell der Begriff «301» zum Datum vom 1. März. Ebenso der Verdacht, dass Uiguren dahinter stecken sollen. Es folgten Fotos von den von der Polizei erschossenen Attentätern und einer in der Nacht festgenommenen, angeschossenen Frau. Etwas später kamen Blutspende-Aufrufe.
Wie funktioniert Weibo?
Der Kurztext-Dienst erlaubt 140 chinesische Schriftzeichen, man kann aber auch Fotos posten. Theoretisch könnte man so einen ganzen Roman posten, indem man ein PDF als Bild einsetzt. Auch Links können eingefügt werden.
Ein staatlich kontrollierter Dienst?
Der Dienst wird indirekt vom Staat kontrolliert. Konkret droht den drei grossen Anbietern ein Lizenzentzug, wenn sie den staatlichen Interessen zu stark in die Quere kommen. Die Provider beschäftigen deshalb ein Heer von Zensoren. Sie entfernen alles Verpönte von Hand, was nicht bereits der automatisierte Zensurfilter aussortiert hat – etwa das Stichwort «Tienanmen-Massaker». Zudem sind die Weibo-User registriert. Einen Account gibt es nur mit Telefonnummer, die wiederum ohne gültige Identitätskarte nicht zu haben ist.
Hat die staatliche Zensur im Fall Kunming nicht eingegriffen?
Sie hat eingegriffen und dabei ziemlich schnell einmal die schlimmsten Bilder entfernt. Insgesamt wurden die Blogs aber geduldet. Denn der Staat wollte aus Propagandazwecken, dass über den grauenhaften Anschlag berichtet wird.
Unliebsames sickert immer wieder durch. Eine Gefahr für Chinas Führung?
Wohl kaum. Die Zensurmittel sind massiv. Und ausgerechnet die Region Xinjiang, aus der die Uiguren stammen, ist eine Art «Testlabor» im Umgang mit der Repression und der Kontrolle der Informationsströme. Bei den grossen Unruhen 2009 in der dortigen Hauptstadt Urumchi wurde das Internet für die ganze Region ein Jahr lang ganz abgestellt und nur selektiv wieder zugelassen.
In Kunming, wo es einige Touristen und viele Menschen aus anderen Teilen Chinas gab, war das nicht praktikabel. Ansonsten wäre wohl nicht so flächendeckend über das Massaker berichtet worden.