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International Cox-Attentäter offenbar psychisch kranker Neonazi-Sympathisant

Nach dem Attentat auf die britische Labour-Abgeordnete Jo Cox sind erste Details zum mutmasslichen Täter bekannt geworden. Die Polizei konzentriert sich auf mögliche Kontakte des Täters zu rechtsextremen Kreisen.

«Es fällt mir schwer zu glauben, was passiert ist», sagte der Bruder des mutmasslichen Täters der Zeitung «Daily Telegraph». Er äusserte damit Zweifel an einem politischen Motiv bei dem Verbrechen. «Mein Bruder ist nicht gewalttätig, und er ist nicht besonders politisch.» Er habe eine Vorgeschichte psychischer Erkrankungen, sei allerdings in Behandlung gewesen.

Der Sender BBC berichtete, in der Wohnung des nach der Tat Festgenommenen seien Nazi-Insignien gefunden worden. Zuvor hatte bereits die renommierte Anti-Rassismus-Organisation «Southern Poverty Law Center» in den USA mitgeteilt, dass Unterlagen den Tatverdächtigen als jahrzehntelangen Unterstützer der US-Neonazi-Gruppierung National Alliance (NA) ausweisen. Der Verdächtige habe die Gruppierung engagiert unterstützt und hunderte Dollar für Schriftgut ausgegeben. Die NA vertritt einen Rassismus, der sich gegen alle Nicht-Weissen richtet.

Die Polizei konzentriert sich darum auf mögliche Kontakte des Täters zu rechtsextremen Kreisen, teilte sie am Freitagabend mit. Man gehe von einem «isolierten, aber gezielten Angriff» aus.

Politische Klasse schockiert

Die pro-europäische Labour-Abgeordnete Cox war am Donnerstagmittag auf offener Strasse attackiert worden, wenig später starb sie. Die Behörden hielten sich mit Angaben zum Verlauf der Tat und zu den möglichen Beweggründen des Täters zurück. Am Tatort seien eine Schusswaffe und andere Waffen sichergestellt worden, teilte die Polizei mit.

Britische Medien berichteten unter Berufung auf Zeugen, der Täter habe auf Cox eingestochen und dann auf sie geschossen. Dabei ging der Mann offenbar mit grosser Brutalität vor: Er habe der bereits zu Boden gegangenen Politikerin ins Gesicht geschossen, sagte ein Augenzeuge, der Café-Besitzer Clarke Rothwell der BBC. Angeblich handelt es sich bei der Schusswaffe um eine altmodische Flinte in der Grösse einer Gurke.

Gemeinsame Geste der politischen Feinde

In einer demonstrativen Geste der Gemeinsamkeit legten Premierminister David Cameron und Labour-Oppositionschef Jeremy Corbyn in Birstall Blumen nieder, wo Cox am Donnerstag brutal überfallen wurde. Corbyn nannte das Verbrechen einen «Angriff auf die Demokratie», Cameron verurteilte Hass und Hetze in der politischen Debatte. Cox sei eine engagierte und fürsorgliche Parlamentarierin gewesen. Die Absolventin der Elite-Universität Cambridge war bekannt für ihren Kampf für Frauenrechte.

Zusammenhang mit Brexit-Referendum?

In der aktuellen Brexit-Debatte hatte sich Cox für einen Verbleib Grossbritanniens in der EU ausgesprochen. Ihr Tod könnte sich auf die Volksabstimmung auswirken. Zuletzt lagen die EU-Treuen in Umfragen hinter dem Lager, das der Gemeinschaft den Rücken kehren will.

Jo Cox lächelnd
Legende: Die 41-jährige Labour-Abgeordnete Jo Cox galt als Gegnerin des «Brexit». Keystone

In Medienberichten hiess es unterdessen, der Angreifer habe «Britain First» («Grossbritannien an erster Stelle») gerufen. «Britain First» ist der Name einer rechtsgerichteten Gruppe, die sich im Internet als eine Art Bürgerwehr und «patriotische Partei» beschreibt. Die Organisation erklärte, der Angriff auf die Politikerin sei «absolut widerlich», und «Britain First» auch ein in der Brexit-Debatte üblicher Slogan von den Befürwortern eines EU-Austritts.

SRF-Korrespondent Urs Gredig sagt, es sei zu früh über einen Zusammenhang mit der Brexit-Abstimmung zu spekulieren. Was aber klar sei: Sieben Tage vor dem Brexit-Referendum sei das politische Klima unglaublich vergiftet. «Der Ton wird immer schärfer. Und es gibt sehr viele Stimmen, die heute in Grossbritannien sagen: Nun muss Schluss sein, nun muss wieder Ruhe und Besonnenheit einkehren in die politische Debatte.»

Politische Morde oder Attentate seien in Grossbritannien selten, so Gredig. Der letzte Mord an einem Abgeordneten sei in den 90er-Jahren geschehen – während der IRA-Wirren.

«Dass sich Abgeordnete wie Jo Cox heute in ihrem Wahlkreis unbewacht immer wieder mit Menschen treffen, ist ganz natürlich. Dass nun eine Politikerin dermassen blutig ums Leben kommt, wird von vielen Briten auch als Angriff auf die Demokratie gesehen», so Gredig.

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