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International Das Importverbot verdirbt den Russen den Appetit

Das Importverbot des Kremls für Lebensmittel aus der EU und der USA gibt viel zu reden in Russland. Denn davon ist nicht mehr nur die Oberschicht betroffen, sondern auch die Mittelschicht Russlands. Im Netz kursieren Vorschläge, wie das Embargo umgangen werden könnte.

«Pjer Krestok» oder «Sedmoj Kontinent», der siebte Kontinent, das sind Russlands grösste Supermärkte in Grossstädten wie Moskau oder St. Petersburg. Besonders beliebt sind sie bei Russlands Beamten und der jungen Mittelschicht, weil sie Qualitätsprodukte anbieten, Valjio-Milch aus Finnland etwa, Joghurt aus Deutschland, Gemüse aus Italien, Käse aus Frankreich.

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Nun fehlen diese Lebensmittel ab sofort in den Regalen und dies verärgert nicht nur die Konsumenten, sondern auch Händler und Verkäuferinnen. Zwar machen Importlebensmittel nach offizieller Statistik durchschnittlich nur 30 Prozent aus. Doch die renommierte Wirtschaftszeitung «Wjedomosti» geht von viel höheren Importzahlen aus: 60 Prozent Rindfleisch, 50 Prozent Käse und Milch, 35 Prozent Butter und etwas weniger Öl stammen demnach aus den Embargo-Ländern.

Offene Kritik am Importverbot

Erstaunlich offen kritisiert Russlands oberster Konsumentenschützer, Michail Anschakow das Importverbot: die Regierung habe sich wohl auf eine geschönte Statistik gestützt, wenn sie von 70 Prozent einheimischer Produktion spreche. Er geht davon aus, dass schon heute die Hälfte der Gurken, Erbsen oder Tomaten aus Polen oder einem andern EU-Land nach Russland kommt, dort verpackt wird und dann als russische Produktion gilt.

Für die Zeitung «Kommersant» ruft das jüngste Embargo Erinnerungen an die 1990-er Jahre wach, als es plötzlich ausser Kerzen in den Läden praktisch nichts mehr zu kaufen gab. Und so rätseln die Zeitungen über die Gründe für dieses Embargo, das nicht in erster Linie Lebensmittelproduzenten in den USA und der EU trifft, sondern Russland Mittelschicht in den Grossstädten.

Konsumentenschützer Anschakow glaubt: Mancher Kreml-Oligarch sei sauer auf Präsident Putin, weil er wegen der EU-Sanktionen nicht mehr in seine Ferienvilla in Frankreich oder Italien reisen kann. Um sie zu besänftigen, habe der Kreml nun auch Russlands Mittelschicht zur Kasse gebeten.

Die ist darüber stocksauer, und nicht nur sie. Selbst Duma-Abgeordnete und Kreml-Insider klagen, dass nun «Avcuss»-Gourmetläden vor der Schliessung stehen, weil sie einzig teure Delikatessen und Lebensmittel aus Europa anbieten. Auf Websites und Blogs schlagen sie vor, wie das Embargo umgangen werden könnte: Kasachstan und Weissrussland können weiterhin Milch- und Fleischprodukte aus der EU kaufen, diese dann aber mit andern Etiketten versehen und nach Russland liefern.

Nicht alle der gleichen Ansicht

Allerdings: Andere Zeitungen wie die «Moskowski Komsomolez» oder die «Iswestija» unterstützen das Embargo. Sie setzen darauf, dass Russlands Bauern ihre Betriebe endlich modernisieren, damit sie den Binnenmarkt beliefern können; oder dass die korrupten Supermarkt-Besitzer Russlands Bauern wegen des Embargos nicht mehr übergehen können.

Diese hätten dann endlich freien Zugang zu den Supermärkten. Das wäre sehr zur Zufriedenheit von Russlands Konsumenten, denn Gurken und Tomaten aus Bauerngärten müssen den Vergleich mit europäischem Gemüse nicht scheuen.

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