Die militärische und die zivile Kontrolle liegen im Jordantal vollständig bei den israelischen Besatzern. Dort wachsen Dattelpalmen, ganze Palmenwälder ziehen sich über Dutzende Kilometer dem Jordanfluss entlang. Daneben gedeihen Zitrusfrüchte, Gewürzkräuter.
Solche Grossplantagen gehören zu jüdischen Siedlungen und demonstrieren die Exzellenz israelischer Agrartechnik. In den Augen der Palästinenser aber stehen sie auf geraubtem palästinensischem Land.
Die Europäische Union sagt es weniger brüsk: Es gebe keine israelische Hoheit über das Jordantal und den Rest der Westbank. Und auch keine über den Osten Jerusalems oder den Golan, wie immer sich Israel dazu stelle. Dieser Unterschied müsse künftig auch im Einkaufsregal nachvollziehbar sein.
Kopfschütteln bei den Produzenten
Auf dem Golan, 1500 Meter über dem Jordantal, schüttelt Ari Golanski den Kopf. Er arbeitet in einem jüdischen Kibbuz und ist von der Deklarationspflicht direkt betroffen. Seine Landwirtschaftskooperative aber sei sehr wohl ein Teil Israels und werde es auch bleiben, betont er.
«Die negativen Konsequenzen der neuen europäischen Richtlinie werden sich wohl in Grenzen halten», ist Golanski überzeugt, denn «es gibt alternative Exportmärkte». Kommt hinzu: Die Vorschrift aus Brüssel bezieht sich nur auf Kosmetika und Landwirtschaftsprodukte. Industrieprodukte aus den Siedlungen im besetzten Gebiet können auch in der Europäischen Union weiterhin einfach als «israelisch» vermarktet werden.
Ortswechsel: Adam Alfasi ist Winzer. Auch er muss nun auf den Export nach Europa verzichten oder dafür eine neue Etikette entwerfen. Eine, die klar macht, dass sein Wein nicht aus Israel, sondern aus einer israelischen Siedlung vom Golan kommt.
In den Siedlungen in der Westbank finden auch tausende Palästinenser ein Auskommen.
«Ich kann den Entscheid aus Brüssel nur schwer nachvollziehen», sagt auch Alfasi. Er selbst arbeitet in seinem koscheren Weingut zwar nur mit jüdischen Angestellten. «In den Siedlungen in der Westbank finden aber auch tausende Palästinenser ein Auskommen. Ihre Arbeitsplätze sind nun bedroht», argumentiert Alfasi. Europas Politik schade also jenen, denen sie doch eigentlich helfen wolle.
Der Palästinenser Omar Barghouti in Ramallah lässt das Argument des Winzers nicht gelten. «Es deutet die Entrechtung der Palästinenser zur Wohltätigkeit um», kritisiert er. «Gebt uns Palästinensern unser Land zurück, dann müssen wir uns nicht in den Betrieben verdingen», sagt der palästinensische Aktivist.
Gebt uns Palästinensern unser Land zurück, dann müssen wir uns nicht in den Betrieben verdingen.
Die israelische Regierung reagierte scharf ablehnend auf den Entscheid der EU. Israelische Minister rückten die Etikettierung von Siedlungsprodukten gar in die Nähe judenfeindlicher Erlasse in der Nazizeit, unterstellten Europa antisemitische Motive. Überdies werde Israel nun benachteiligt gegenüber andern Ländern mit Gebietsstreitigkeiten. Die Fälle seien nicht vergleichbar, heisst es dazu in Brüssel.
Aber auch Omar Barghouti, der palästinensische Aktivist, kritisiert den Entscheid der EU. Er hält die europäsiche Politik für Augenwischerei. «Man kann nicht trennen zwischen dem Unrecht der Besatzung und Besiedlung und Israel, dem Land, das dafür verantwortlich ist», argumentiert er.
Vollständiges Boykott statt nur ein Label
Barghouti ist eine der führenden Stimme der sogenannten BDS-Bewegung. Diese geht viel weiter, ruft weltweit dazu auf, Produkte aus den Siedlungen nicht nur zu etikettieren, sondern rundweg zu boykottieren. Und auch jene aus Israel selbst. Solange, bis die israelische Besatzung des Palästinensergebiets aufhöre. In der palästinensischen Gesellschaft hat Barghoutis Boykottkampagne grossen Rückhalt.
Die israelische Regierung bekämpft sie als strategische Bedrohung und bezichtigt auch Barghouti des Antisemitismus. Der palästinensische Aktivist weist den Vorwurf zurück. Israel sei nicht wegen seiner Mehrheitsreligion im Visier, sondern wegen seiner Politik.
Die Europäische Union wiederum ist von Boykotten weit entfernt. Es gehe keinesfalls um ein Verkaufsverbot, heisst es in Brüssel wieder und wieder. Es gehe nur um eine klare Herkunftsbezeichnung für Siedlungsprodukte und damit um Transparenz für die europäischen Konsumenten. Mit Israel selbst unterhält die EU sogar bevorzugte Wirtschaftsbeziehungen. Daran will sie auch nichts ändern. Ungeachtet der harschen Vorwürfe der israelischen Minister.