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Bewaffneter Mann in schwarz auf der Strasse.
Legende: Ein Anhänger von Abu Bakr al-Baghdadi schwenkt die Isis-Flagge in der syrischen Stadt Raqqa. Reuters

International Das krude Kalifat von al-Baghdadi

Der Chef der Terrorgruppe «Islamischer Staat» Abu Bakr al-Baghdadi will als Kalif Ibrahim Herrscher über alle Muslime werden. Doch seine Vorgänger am Hof von Bagdad pflegten einen ganz anderen Lebensstil.

Abu Bakr al-Baghdadi will Kalif sein. Der Chef der sunnitischen Terrorgruppe Isis, die seit Sonntag nur noch «Islamischer Staat» heisst, phantasiert von einem Reich, das von Isfahan bis Cordoba reicht. Als Kalif Ibrahim möchte der Dschihadist über alle Muslime herrschen. Schon in sechs Jahren solle es soweit sein, liessen er und seine Gefolgschaft über diverse Websites verlauten.

Karte Kalifat.
Legende: Diese auf diversen Social-Media-Kanälen verbreitete Karte soll die Ausdehnung des angestrebten Kalifats zeigen. Twitter

Die Botschaft kommt nicht überall gleich gut an. Während etwa indonesische Mudschahedin dem selbsternannten Kalifen in einer Videobotschaft viel Glück wünschten, halten viele muslimische Gelehrte al-Baghdadi für einen grössenwahnsinnigen Spinner, der vom Glauben abgefallen ist.

Im Netz gab es denn auch viel Spott und Häme für den 43-jährigen al-Baghdadi. Auf Twitter wurde der Frage nachgegangen, ob es im neuen Kalifat wohl auch einen Tourismusminister geben wird. In ironischer Anspielung an den Hashtag #CalifateRestored erklärte sich ein User kurzerhand zum Herrscher über das «wiederhergestellte Mongolische Reich».

Und auch ein ehemaliger Pressesprecher des US-Aussenministeriums frotzelte mit: «Das Kalifat hat ungefähr die gleichen Überlebenschancen wie ein Glace in der Wüste.» Ein Glace, das im Übrigen niemandem besonders schmecke.

Tatsächlich scheint der Isis derzeit vor allem im virtuellen Raum Boden gutzumachen. Während die PR-Botschaften der Terroristen von Extremisten in den sozialen Medien munter geteilt werden, sitzen viele der schwarz gekleideten Kämpfer seit Tagen in Tikrit fest, unter Dauerbeschuss von der irakischen Armee.

Nahost-Experte Ulrich Tilgner bezeichnete ein sunnitisches Kalifat als einen Traum von Isis, der wenig mit der Realität gemein habe. Von einem Sturm auf Bagdad zu berichten, sei schlicht Unsinn, sagte er unlängst in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Als grösste terroristische Gefahr bezeichnete Tilgner die ausländischen Kämpfer der Isis, wenn diese dereinst in ihre Heimatländer zurückkehren würden.

Dennoch ist die Sorge gross, dass Isis einen Flächenbrand in der Region auslösen könnte. So fürchtet etwa Jordanien eine Ansteckung durch das Kalifat von al-Baghdadi. Und auch Deutschland und Israel warnten vor einer Bedrohung für die ganze Welt. Es dürfe nicht passieren, dass in dem ausgerufenen «sogenannten Kalifat» eine Brutstätte für Terror und Gewalt entstehe, sagte der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Was ist ein Kalifat?

Das komische Kalifat

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René Gosccinny und Jean Tabary kreierten 1962 den Comichelden Isnogud. Ein Grosswesir, der in seinen irrwitzigen Abenteuern immer nur ein Ziel verfolgt: «Ich will Kalif werden anstelle des Kalifen.» Isnoguds fiese Attentate scheitern stets an der kindlich-naiven Art des Kalifen Harun al Pussah, der keiner Fliege jemals etwas zuleide tun könnte.

Das erste Kalifat wurde im 7. Jahrhundert nach dem Tod des Prohpeten Mohammed errichtet. Die Muslime mussten einen Nachfolger für die weltliche und religiöse Führung ihrer Gemeinschaft finden (Kalifat bedeutet auf arabisch «Nachfolge»). Erster Kalif wurde der Mohammed-Vertraute Abu Bakr – womit auch klar sein dürfte, bei wem Isis-Boss Abu Bakr al-Baghdadi seinen Rufnamen abgeschaut hat.

Ab 660 nach Christus galt der Kalif auch als Stellvertreter Gottes auf Erden. Zu seinen zahlreichen Aufgaben gehörte die Festigung des islamischen Reiches, die Gesetzgebung, die Regelung des religiösen Lebens und die Schaffung der Verwaltungsstrukturen.

Ab dem Jahr 750 war das Zentrum der islamischen Welt Bagdad. Nach der Eroberung der Stadt am Tigris und der Vertreibung der Abbasiden-Dynastie im 13. Jahrhundert durch die Mongolen gehörte die Bagdad zum Osmanischen Reich. Zentrum des neuen Kalifats wurde Istanbul. Erst 1924 löste die türkische Regierung dieses letzte Kalifat auf.

«Sündenbabel»

Unter Möchtegernkalif Ibrahim sind irdische Vergnügungen unter Androhung der Todesstrafe verboten. Wo die Isis-Leute das Sagen haben, gilt Rauchen, Trinken oder auch Musik und Tanz als eine Sünde.

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Gemäss dem Nachrichtenmagazin «Spiegel» sei es darum einigermassen verwunderlich, dass al-Baghdadi ausgerechnet an die Geschichte des Kalifats mit Zentrum in Bagdad anknüpfen wolle. Denn das Leben am Hofe der Kalifen habe nur wenig mit dem gemein gehabt, was die heutigen Dschihadisten unter islamischer Ordnung verstünden. Bagdad sei zu jener Zeit ein regelrechtes «Sündenbabel» gewesen.

So seien die Kalifen dem Wein keineswegs abgeneigt gewesen, sie unterhielten Affären mit jungen Männern und liessen Eunuchen für sich tanzen und singen. Es gab gar Hofpoeten, welche die Ausschweifungen in homoerotischen Versen festhielten. Aber auch das gemeine Volk soll ausgiebig Alkohol getrunken und Backgammon gespielt haben.

Bagdad zur Zeit der Kalifen war die Welthauptstadt für Astrologen, Mediziner, Philosophen und Mathematiker – auch für christliche und jüdische Wissenschaftler. Abu Bakr al-Baghdadi müsste noch einmal über die Bücher.

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