SRF: Der Papst listet in seiner Weihnachtsrede 15 Krankheiten auf, an denen die Kurie leiden soll. Das sind harsche Worte.
Leo Karrer: Papst Franziskus spricht die Probleme des Alltags direkt an – in einer Sprache, die man sich von päpstlichen Ansprachen nicht gewohnt ist, gerade in der sakralen Atmosphäre einer Kirchen-Kurie. Das ist erstaunlich.
Die Kardinäle haben der Ansprache mit versteinerter Mine zugehört. Kann man von einem Eklat sprechen?
Das kann ich mir gut vorstellen. Der Papst ist angetreten, um die Kurie aus der Verkrustung von Formalitäten herauszuführen. Darum ist er auch gewählt worden. So könnte längerfristig eine Reform in Gang gesetzt werden.
Ist das der Beginn eines grossen Aufräumens im Vatikan?
Ein Papst kann nicht sein Amt antreten und sofort alles von oben herab ändern. Es muss ein langfristiger Prozess des Umdenkens, des In-die-Wege-Leitens sein. Die von Papst Franziskus einberufene Bischofssynode über Ehe und Familie ist dabei ein kluger Schachzug. So werden nicht nur Dokumente verabschiedet, die auf immer und ewig gelten sollen, sondern es wird ein Prozess des Streitens, des Dialogs, der Spurensuche in Gang gesetzt. So kann etwas reifen. Nicht die Hilflosigkeit der Kirche bei seit Jahrzehnten angedachten Reformen ist das Problem, sondern das Tabu, über «heisse Eisen» zu diskutieren.
Sie halten diese Schritte des Papstes in Richtung Reformen für klug. Ganz grundsätzlich – was ist er für ein Papst?
Er betont Menschlichkeit und Liebe und spricht von einem barmherzigen Gott. Damit schafft er eine offene Stimmung, in der Querelen angegangen statt ausgesessen werden können.
Wie progressiv ist Papst Franziskus?
Er vertritt Positionen, auf die man sich auch in der Basis berufen kann. Auf Dauer muss sich aber das System der katholischen Kirche ändern. Das geschieht nicht von heute auf morgen. Man muss Veränderungen wachsen lassen. Die Orte der Probleme sind auch die Orte, wo man Lösungen finden kann.
Das Gespräch führte Andreas Klaeui.