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Eine Frau mit einem Transparent auf dem «Refugees welcome» steht.
Legende: Flüchtlinge willkommen, und dann? Auch aus dem linken Lager werden Antworten gefordert. Reuters

International Das Sommermärchen und die Realität

Schluss mit der Freizügigkeit für Flüchtlinge: Deutschland macht die Grenzen dicht. Und unter die Hilfsbereitschaft mischt sich Skepsis. Denn neben der Willkommenskultur brauche es auch eine funktionierende Einwanderungspolitik, sagen kritische Stimmen.

Volker Beck ist ein grüner Politiker. Als solcher ist er ein Anhänger von Multikulti. Trotzdem ist er nicht euphorisch über die vielbeschworene Willkommenskultur in Deutschland. Der Bundestagesabgeordnete war schon vor der Einführung der Grenzkontrollen skeptisch: «Ich sehe einfach die Aufgabe. Und die endet nicht damit, dass man Leuten am Bahnhof ‹Guten Tag› sagt. Die Menschen sind dann da.»

Da ist einmal die Sprache. Das A und O. Aber ein Recht auf Deutschkurse gibt es erst nach dem erfolgreichen Abschluss des Asylverfahrens. «Das dauert bei uns Monate und Jahre. Das ist unverantwortlich, und es führt zu unnötigen Konflikten», kritisiert Beck.

Aber Deutsch allein reich nicht. «Was machen wir mit denjenigen, die keine Berufsausbildung haben? Das wird die Mehrheit der Flüchtlinge sein. Bei denen werden Deutschkurse nicht reichen.» Man müsse ihnen, führt der grüne Bundestagsabgeordnete aus, schnell die Möglichkeit geben, sich auch zu qualifizieren, Lehren und Ausbildungen anzufangen. «Wir dürfen diese Menschen nicht zur Untätigkeit verdammen.»

Bürokratie-Wahnsinn und Versäumnisse

Das Problem hat auch das CSU regierte Rosenheim in Bayern. Der Wirtschaftsdirektor der Stadt, Thomas Bugl, überlegt sich, wie Flüchtlinge, die Monate oder länger auf den Abschluss ihres Asylverfahrens warten und nicht arbeiten dürfen, wenigstens symbolisch für einen Euro beschäftigt werden können. Zum Beispiel bei der Pflege der Pflanzen auf einer Verkehrsinsel.

Oder er überlegt sich, ob das nicht zu gefährlich ist für einen Flüchtling, der auf der Flucht sein Leben riskiert hat. «Kann man einen Asylbewerber guten Gewissens dort einsetzen, und ihn einem extrem hohen Verkehrsaufkommen und damit einem grossen Risiko aussetzen? Einer Gefahr und Situation also, die er aus seinem Heimatland vielleicht gar nicht kennt?»

Das ist die Lage, wenn der bürokratische Wahnsinn auf eine Situation stösst, welche die Bürokratie nicht vorgesehen hat. Damit muss Bugl kämpfen. Aber das absurde Problem hat einen grösseren Hintergrund, wie der Freiburger Migrationshistoriker Ulricht Herbert ausführt: «Ich glaube, dass die deutsche Politik und diese Regierung es seit längerem versäumt haben, eine klare, auch öffentlich diskutierte Migrationspolitik auf lange Sicht zu definieren.»

Einwanderungsland ohne Einwanderungsgesetz

Deutschland hält das Asyl für Flüchtlinge hoch, gerade wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Deutschland braucht zwar etwa 240'000 Zuwanderer pro Jahr wegen der Überalterung, aber es hat noch immer kein Einwanderungsgesetz, bemängelt Herbert. «Bisher gibt es keine Einigung, ja noch nicht einmal eine Diskussion darüber in Deutschland, welche Migranten wir gerne hätten – welche Zahlen, welche Qualifikationen wir möchten, wie das etwa die USA oder Kanada tun.»

Deutschland ist kein Einwanderungsland, hiess es in den 90er-Jahren bei der CDU von Helmut Kohl. Und auch Angela Merkel hat das Thema Einwanderungsgesetz trotz aktueller Krise in der Schublade versorgt. Unverständlich für den Grünen-Politiker Beck, denn: «Die Aufnahme grosser Gruppen aus einer anderen Region verändert auch die Gesellschaft insgesamt.»

Beck nennt ein Beispiel für die gravierenden Versäumnisse. «Unter Rot-Grün hat es bis 2004 gedauert, bis Integrationskurse eingeführt wurden. Zunächst als Angebot, innerhalb von zwei Jahren auch als Pflicht, um die Sprache zu lernen, aber auch die hiesige Rechtsordnung und Kultur kennenzulernen, damit man sich zurechtfindet. Das kam 40 Jahre zu spät.» Ein harter Vorwurf.

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