Ein ehemaliger russischer Geheimagent trinkt in einem Luxushotel in London mit zwei ehemaligen Agenten-Kollegen Tee. Später trifft er einen italienischen Geheimdienst-Experten zum Sushi-Essen. Kurz darauf fühlt sich der Mann nicht gut und drei Wochen später ist er tot. Erst spät entdecken die Ärzte, dass der Mann quälend langsam an einer Vergiftung mit radioaktivem Polonium 210 starb.
Was sich liest wie in einem Spionagethrillers, ist die Kurzfassung des Giftmords am Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko im November 2006 in London. Das Bild des sterbenden Mannes im Spitalbett ging damals um die Welt. Zwischen Grossbritannien und Moskau brach nach dem Vorfall eine diplomatische Eiszeit an: Die Briten hielten einen der beiden teetrinkenden ehemaligen KGB-Männer, Andrej Lugowoi, für den Hauptverdächtigen. Er wurde aber von Russland nicht ausgeliefert.
Neue öffentliche Untersuchung
WISSEN
Der Todesfall ist trotz zahllosen Indizien bis heute nicht gelöst. Erst jetzt, acht Jahre später, wird er in einer öffentlichen Untersuchung («Coroner's Inquest») seit Donnerstag neu aufgerollt.
Dabei versuchen Juristen unter der Leitung des erfahrenen Richters Robert Owen, die Umstände der Tat zu klären. Sie dürfen Zeugen befragen und Akten einsehen, auch Unterlagen britischer Geheimdienste. Es ist aber keine Gerichtsverhandlung mit einer Anklage und einem Urteil, sondern lediglich ein Versuch, fast acht Jahre nach dem Mord die Umstände zu klären.
Zu den Sitzungen in einem Londoner Gerichtsgebäude sind vor allem Medien und die Öffentlichkeit zugelassen, solange keine besonders heiklen Fragen besprochen werden, die die nationale Sicherheit Grossbritanniens gefährden könnten.
Schwerpunkt der öffentlichen Untersuchung zum Todesfall des Regierungskritikers Litwinenko ist die Rolle Russlands. Er betrachte diesen Punkt als sehr wichtig, sagte Richter Robert Owen zur Eröffnung der Untersuchung.
Die Witwe des mit radioaktivem Polonium ermordeten Ex-Agenten lobte er dafür, dass sie so beharrlich für das öffentliche Verfahren gekämpft habe.
Welche Rolle spielt Russland?
Die britische Regierung hatte sich lange geweigert, den Fall öffentlich untersuchen zu lassen, hat dann aber vergangene Woche doch zugestimmt. Es ist ein Sieg für die Witwe des Ermordeten, die lange für diese öffentliche Untersuchung kämpfte und dabei bis vor das höchste britische Gericht zog.
Dies sei ein besonderer Tag, sagte Marina Litwinenko vor dem Londoner Gerichtsgebäude. «Alle, überall auf der Welt, werden die Wahrheit erfahren.» Die Witwe glaubt, dass der russische Staat ihren Mann umbringen liess.
Erst vergangene Woche, fünf Tage nach dem mutmasslichen Abschuss eines Flugzeugs der Malaysia Airlines über der Ostukraine, gab Innenministerin Theresa May den Sinneswandel der britischen Regierung bekannt. Der Zeitpunkt sei Zufall, verlautet von der Regierung. Aber beim Flugzeugunglück kamen auch zehn britische Staatsbürger ums Leben. London vermutete schnell Moskau als Waffenlieferanten oder gar Drahtzieher.
Diplomatische Eiszeit zwischen Moskau und London
Der frühere russische Auslandsgeheimdienst-Mitarbeiter Litwinenko war im Jahr 2000 aus Russland gekommen, nachdem er den Geheimdienst FSB unter anderem beschuldigt hatte, Morde in Auftrag gegeben zu haben. Damit wurde er zum Kreml-Gegner und Grossbritannien nahm ihn auf.
Acht Monate nach dem Gift-Tod von Litwinenko wies Grossbritannien vier Diplomaten der russischen Botschaft in London aus. Die Briten reagierten damit auf die Entscheidung Russlands, den des Mordes an Litwinenko verdächtigten Geschäftsmann und Ex-Agenten Andrej Lugowoi nicht an Grossbritannien auszuliefern. Moskau verlangte die Auslieferung von im Londoner Exil lebenden Russen und verwies im Gegenzug vier britische Botschaftsangehörige des Landes.
Bis Ende 2015 soll die Untersuchung voraussichtlich dauern. In Russland findet das Thema derzeit so gut wie keine öffentliche Beachtung. Der Kreml hat mit der Ukraine-Krise andere Sorgen. Und auf diplomatischer Ebene herrscht zwischen Moskau und London sowieso Eiszeit.