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Drei Fahnen wehen im Wind: USA, Irland und EU. Ein Mann steht mit Feldstecher daneben und schaut in die Ferne.
Legende: Die G8-Staaten werden die Steuerpraktiken der US-Grosskonzerne beleuchten. Keystone

International Der Apfel in den Wolken, der doppelte Ire und der Knoblauch-Mann

Am nächsten Montag beginnt in Nordirland der Gipfel der G8-Staaten unter britischem Vorsitz. Grosses Thema: die internationalen Regeln für die Besteuerung multinationaler Konzerne. Die Konzerne Apple, Google, Starbucks, Amazon und Co. sind in den letzten Monaten deswegen in die Schlagzeilen geraten.

Der Chef des amerikanischen Computerriesen Apple, Tim Cook, stellte letzten Monat gewagte Behauptungen auf: Apple zahle jeden Rappen Steuern, und halte sich nicht nur an den Buchstaben, sondern auch an den Geist der Gesetze und verschiebe die profitablen Rechte für geistiges Eigentum gewiss nicht in Steueroasen.

Irland – Drehscheibe der Steuervermeidung

Der irische Finanzexperte Jim Stewart, der am Trinity College Dublin lehrt, gibt Cook technisch recht: «Apple hat gar keinen Steuersitz – der befindet sich in den Wolken.» Stewart spricht hier von Apples Geschäften ausserhalb der Vereinigten Staaten.

Dabei spielt die Republik Irland, wo die Firma seit 1980 ansässig ist und derzeit über 2000 Angestellte beschäftigt, eine Schlüsselrolle. Irland stelle sich als Drehscheibe für die Steuervermeidung zur Verfügung: Auf Gewinnen von etwa 22 Milliarden zahle Apple eine Gebühr von einem halben Prozent, kritisiert Stewart. «Irland ist zwar keine reine Steueroase, das kann ich mit seinem Lohnausweis belegen, aber teilweise eben doch ein Steuerparadies.»

Abgesehen vom tiefen Steuersatz sei die Beeinflussbarkeit der Politik entscheidend: Das Steuersystem reagiere sehr flexibel auf die Wünsche der Multis und potenzieller Investoren. Wenn sie etwas störe, werde es eben geändert.

Dabei kommen sehr subtile Methoden zur Anwendung. Ein Ausschuss des amerikanischen Senats behauptete im Mai, Irland habe Apple einen Körperschaftssteuersatz von zwei Prozent gewährt. Irlands Premierminister, Enda Kenny, reagierte ungehalten: «Irlands Steuersatz ist gesetzlich verankert, klar und transparent.» Es gebe keine Spezial-Sätze für einzelne Firmen.

Der Mechanismus «der doppelte Ire»

Das stimmt. Der Satz beträgt zwölfeinhalb Prozent. Bloss: Was ist steuerbar?

Jim Stewart erklärt den Mechanismus, der den Spitznamen «der doppelte Ire» trägt: «Es handelt sich um eine Firma mit zwei Standorten gleichzeitig. Rechtlich ist sie in Irland eingetragen, dort aber nicht steuerpflichtig, weil der irische Fiskus davon ausgeht, dass sie nicht von Irland aus geleitet oder kontrolliert wird.»

Stewart nennt eine Adresse in Bermuda. In diesem Bürogebäude befänden sich sehr viele dieser Firmen, aber es treffe nicht zu, dass sie von dort kontrolliert würden.

Neben dieser Unternehmenseinheit mit der gespaltenen Persönlichkeit gibt es in der Regel noch eine irische Firma, die tatsächlich etwas herstellt oder verkauft. Dieser Betrieb saugt oft die globalen Konzerngewinne auf, die ausserhalb Amerikas anfallen. Anschliessend schüttet er eine Milliardensumme an die Inhaberin der geistigen Eigentumsrechte aus, was den in Irland zu versteuernden Gewinn dramatisch schmälert. In Bermuda gibt es keine Körperschaftssteuer.

«Hinterhältig, berechnend und unethisch»

Das klassische Beispiel für diese Praxis ist die Firma Google, die ihr europäisches Hauptquartier in Dublin hat. Die Vorsitzende des britischen Finanzausschusses, Margaret Hodge, nahm letzten Monat kein Blatt vor den Mund:«Google handelt hinterhältig, berechnend und unethisch.» Die Firma manipuliere ihre tatsächlichen Geschäfte, um keine Steuern bezahlen zu müssen.

Konkret ging es hier um die Behauptung Googles, sämtliche Anzeigen in Europa würden in Irland verkauft. Tatsächlich werden sie wohl eher in Irland fakturiert.

Milliarden Steuergelder gehen flöten

Jim Stewart hat die Zahlen für Googles doppelten Iren: Die irische Google-Tochter weise einen Umsatz von über 12 Milliarden Dollar aus, komme aber bloss auf einen steuerbaren Gewinn von 24 Millionen.

Danny McCoy, der Chef des irischen Arbeitgeberverbandes IBEC, sucht die Schuldigen anderswo: «Der doppelte Ire ist ein Produkt des amerikanischen Steuersystems.» Tatsächlich besteuern die USA nur Firmen, die in den Vereinigten Staaten inkorporiert sind. Apples Gewinne aus Übersee werden erst steuerpflichtig, wenn sie repatriiert werden.

Die G8

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Zur Gruppe der Acht gehören Deutschland, USA, Japan, Grossbritanien, Kanada, Frankreich, Italien und Russland. Obwohl Irland nicht Mitglied der G8 ist, wird der irische Premier, Enda Kenny, nächste Woche ebenfalls an den Gipfel reisen: als rotierender Vorsitzender des Minsterrates der EU. Er darf sich auf ungemütliche Fragen gefasst machen.

McCoy, weist zu Recht darauf hin, dass der oft kritisierte irische Körperschaftssteuersatz von 12,5 Prozent wenigstens ehrlich sei: Der tatsächlich bezahlte, oder effektive Steuersatz liege sehr nahe am offiziellen Satz. «Da gibt es keine Mauscheleien, die Steuerbasis ist eben sehr breit.»

Das stimmt gewiss, betrifft aber nur die irischen Operationen, nicht die Kanalisierung globaler Profite durch Irland. McCoy indessen meint, Irland schade damit keinem anderen EU-Land: Eine Erhöhung des Satzes nütze weder Irland noch der EU, die Firmen gingen dann in die Schweiz, nach Norwegen oder Singapur.

OECD muss hinter die Bücher

Gerade bei den Grossfirmen des digitalen Zeitalters müsse die OECD neue internationale Regeln schaffen; niemand befürworte den derzeitigen Zustand, dass gar keine Steuern bezahlt würden.

Aber Irland ist äusserst verwundbar: Nach Angaben der amerikanischen Handelskammer in Irland tragen US-Firmen 70 Prozent zum irischen Körperschaftssteuer-Aufkommen bei; sie bestreiten mehr als ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung und rund 90 Prozent der enorm hohen Exporte. So braucht das Land gerade jetzt, in der tiefsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte, möglichst viele Freunde im Ausland.

Die 12,5 Prozent sollten dabei nicht im Brennpunkt der Kritik stehen, sondern die weit lukrativeren Hehlerdienste Irlands auf globaler Ebene. Der Kritiker Jim Stewart erinnert an einen irischen Knoblauch-Importeur, der aus Zollgründen seine Ware als Äpfel deklarierte. «Der Knoblauch-Mann muss ins Gefängnis, der Google-Mann kriegt ein schönes Mittagessen.»

(basn;eglc)

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