SRF News: Was bringen die Daten von 22'000 mutmasslichen IS-Terroristen aus über 50 Ländern, die ein enttäuschter IS-Anhänger dem Fernsehsender Sky News zugespielt haben soll?
Christoph Reuter: Nützlich sein werden die Daten im Wesentlichen für all die Gerichtsverfahren, die in Deutschland, Frankreich und England gegen Rückkehrer hängig sind. Letztere behaupten meistens, sie hätten nur Computer für den IS gewartet und nicht gekämpft. Aus den Unterlagen geht nun im Zweifelsfall hervor, für welche Spezifikation – Kämpfer, Patrouille, Selbstmordattentäter – sich die Rückkehrer gemeldet hatten. Auch stehen in den Unterlagen ihre echten Namen.
Fügt der Datendiebstahl dem IS ernsthaften Schaden zu?
Ja. Es wird nun schwieriger, einzelne Leute beispielsweise unbemerkt in den grossen Strom der Flüchtlinge einzuschleusen. Es gibt nun einen Datensatz, den man mit den Angaben der Menschen abgleichen kann, die sagen, sie seien auf der Flucht.
Für den IS wird es nun schwieriger, seine Leute unbemerkt irgendwo einzuschleusen.
Es geht angeblich um Personendaten von 22'000 IS-Mitgliedern. In welchem Verhältnis steht diese Zahl zur Grösse der Terrororganisation?
Das kann niemand sagen. Denn registriert sind alle Leute, die überhaupt jemals zum IS gekommen sind. Das heisst also auch die, welche nach einigen Monaten zurückgekehrt oder in der Zwischenzeit gestorben sind. Insofern gibt uns die Liste eine vermutlich unvollständige Übersicht. Über die momentane Kampfkraft und Mannstärke des IS sagt sie aber nichts aus.
Über die momentane Kampfkraft und Mannstärke des IS sagen die Daten nichts aus.
Beim Informanten soll es sich um ein enttäuschtes IS-Mitglied handeln. Ist das ein Einzelfall oder wenden sich vermehrt Leute vom IS ab?
Enttäuschte hat es schon immer gegeben. Denn oft wurden die gemachten Versprechungen nicht eingehalten. Die Interessenten hatten schlicht andere Erwartungen: Abenteuerferien, ein bisschen Herumschiessen und wieder nach Hause fahren. Bislang war aber die Kontrolle über die IS-Mitglieder sehr viel dichter. Unkontrolliert Reisen, Skypen oder eine Mail schreiben war unmöglich. Diese strenge Kontrolle scheint etwas nachgelassen zu haben. Vermutlich ist die Anzahl der Unzufriedenen gestiegen. Denn die Organisation ist zunehmend unter Druck, sie kann beispielsweise den Mitgliedern nicht mehr so viel Geld bezahlen.
Trotz Auflösungserscheinungen steht der IS nicht kurz vor dem Untergang.
Kann man von Auflösungserscheinungen innerhalb des IS sprechen?
Ja. Doch heisst das noch lange nicht, dass man ihn deswegen besiegen kann. Diese Organisation hat es innerhalb weniger Monate geschafft, ein Gebiet von der Grösse Grossbritanniens unter Kontrolle zu bringen. Trotz massiver Luftangriffe, trotz Gegnern in Syrien und im Irak hat sie es zudem geschafft, ungefähr drei Viertel des Gebiets und die meisten grossen Städte zu halten. Zudem dehnt sich der IS in Libyen weiter aus.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.