Nach einer monatelangen Regierungskrise hat Tschechien ein neues Parlament gewählt. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis sind die oppositionellen Sozialdemokraten CSSD als Sieger hervorgegangen. Die Partei erhielt 20,5 Prozent der Stimmen. Sie sind damit neu die stärkste Kraft im tschechischen Parlament.
Die CSSD hat damit die angestrebte 23 Prozent Marke knapp verpasst, welche eine von den Kommunisten tolerierte Minderheitsregierung ermöglicht hätte. Die Kommunisten erhielten als drittstärkste Kraft 15 Prozent der Stimmen.
Abgestraft wurde die Partei ODS des früheren Ministerpräsidenten Petr Necas. Necas stürzte im Sommer über eine Bespitzelungs- und Korruptionsaffäre. Die Fünf-Prozent-Hürde übersprang die ODS aber.
Mehr erwartet
Der Vorsitzende der Sozialdemokraten Bohuslav Sobotka teilte mit, er sei bereit mit allen Parteien Koalitionsgespräche zu führen. «Das Ergebnis mag nicht das sein, was wir uns vorgestellt haben, aber wir haben von allen Parteien die grösste Zustimmung.»
Das Wort Charisma fällt eher selten im Zusammenhang mit dem 42-jährigen Karrierepolitiker Sobotka. In Interviews kämpft er gegen sein Langweiler-Image an. Doch der Mann mit dem schütteren Haarwuchs und der kantigen Brille liegt konstant auf den vorderen Plätzen
Als Sprachkenntnisse gibt Sobotka «passives Englisch» an. Er liest gerne Sciene-Fiction-Romane, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Dass er sich vor zwei Jahren die Zähne richten liess, brachte Sobotka in der Boulevardpresse viel Häme ein. «Als wir nach den letzten Wahlen wieder in der Opposition gelandet waren, habe ich mir gesagt, dass ich die Zeit nutzen werde», wurde der Politiker oft zitiert.
Regierungsbildung könnte schwierig werden
Gefordert wird Sobotka nun bei der Regierungsbildung. Mit 18,7 Prozent ist die Protestbewegung ANO als zweitstärkste Kraft in das Parlament eingezogen. Eine Bündnis mit den Sozialdemokraten lehnt ANO-Gründer und Milliardär Andrej Babis entschieden ab: «Wir werden keine Regierung unter Einbeziehung der CSSD unterstützen», sagte der Unternehmer.
Laut SRF-Korrespondent Marc Lehmann dürfte die Regierungsbildung mit diesem Resultat schwierig ausfallen. «Es gibt keine klaren Mehrheitsverhältnisse und darum wird man an Babis nicht vorbeikommen.» Doch: «Niemand weiss was von ihm zu erwarten ist.» Es sei ein grosses Rätsel, was Babis eigentlich will. Der Unternehmer habe zwar einen aktiven Wahlkampf betrieben, sich aber gleichzeitig auch immer von der Politik distanziert.
Tiefe Wahlbeteiligung
Rund 8,4 Millionen Stimmberechtigte waren seit Freitag aufgerufen, die 200 Abgeordneten zu bestimmen. Gerade mal 59 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Damit war die Stimmbeteiligung noch niedriger als 2010, wo 63 Prozent der Stimmen eingingen.