Zum Inhalt springen
Ein Junge pumpt in einer Strasse in Damaskus Wasser in einen Kanister.
Legende: Am Lebensnerv getroffen: Ein Junge pumpt in einer Strasse in Damaskus Wasser in einen Kanister. Reuters

International «Der IS benutzt Wasser als Waffe»

Die Terrormiliz IS hat in Syrien und in Nordirak nicht nur weite Gebiete in ihrer Gewalt, sie kontrolliert auch wichtige Ressourcen. Das sind zum einen Ölfelder, zum anderen aber auch Wasser. Die Macht über Flüsse, Staudämme und Quellen setzt die Kriegspartei ganz bewusst für ihre Zwecke ein.

Tobias von Lossow

Box aufklappen Box zuklappen
Porträt Tobias von Lossow

Der Politologe ist für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin tätig. Sein Spezialgebiet ist die Ressourcenpolitik. Dazu gehören auch Wasserkonflikte im Nahen und Mittleren Osten.

In einer aktuellen Publikation, die Sie verfasst haben, sagen Sie, der sogenannte Islamische Staat setze Wasser als Waffe ein. Wie macht er das genau?

Tobias von Lossow: Der IS macht das auf dreierlei Weise. Zum einen, indem er die Wasserversorgung unterbricht, den Wasserhahn sprichwörtlich abdreht. Damit sorgt er dafür, dass in den Gemeinden, Städten und Regionen zu wenig Wasser vorhanden ist. Zweitens bewerkstelligt der IS das, indem er einige Gebiete gezielt überflutet, so dass dort zu viel Wasser vorhanden ist, was dramatische Folgen für die Landwirtschaft hat. Drittens werden Wasserspeicher verunreinigt, so dass sich die Wasserqualität verschlechtert und es nicht mehr als Trinkwasser verwendet werden kann.

Welche Ziele verfolgt die Terrormiliz damit? Geht es um den Machterhalt oder darum, sich die Bevölkerung zu unterwerfen?

Wir haben es beim IS in Syrien und im Irak mit einer Situation zu tun, in der Wasser als militärisches Werkzeug zur Verbreitung von Angst und Schrecken eingesetzt wird. Es ist ein Mittel, um Druck auf die Bevölkerung auszuüben, deren Widerstand zu brechen, und um Druck auf die irakische Regierung aufzubauen. Hinzu kommt, dass der Einsatz von Wasser auch noch einen unmittelbaren, kurzfristigen militärischen Nutzen mit sich bringen kann. Wir beobachten zum Beispiel, dass oft Regionen geflutet werden, in denen irakische Truppen stationiert sind. Es ist also auch ein Mittel, um sich die Gegner vom Leib zu halten.

Wasser wird als militärisches Werkzeug zur Verbreitung von Angst und Schrecken eingesetzt.

Ist diese Strategie nicht riskant? Die Bevölkerung könnte sich doch gegen den IS auflehnen?

Die Gefahr, dass sich die Bevölkerung auflehnt, besteht nicht. Das hat damit zu tun, dass der IS jegliche Form von Widerstand möglichst brutal niederschlägt. Andererseits verfolgt der IS aber neben den terroristischen Aktivitäten auch ein anderes Ziel. Es geht ihm darum, ein staatsähnliches Konstrukt auf seinem Territorium zu etablieren. Das heisst, in den Gebieten, die unter IS-Kontrolle sind, geht es dem IS spätestens seit der Ausrufung des Kalifats im letzten Jahr darum, staatliche Dienstleistungen bereitzustellen. Dazu gehört eine funktionierende Wasser- und Stromversorgung. Damit versucht er seine Legitimität zu erhöhen und seine Macht zu festigen. Und er muss unter diesem Gesichtspunkt wiederum abwägen, ob und in welchem Ausmass er Wasser als Waffe einsetzen möchte.

Der IS wird von allen Seiten bombardiert. Besteht die Gefahr, dass er als Reaktion darauf zum Beispiel Staudämme sprengt?

In der Tat nimmt diese Gefahr zu. Insbesondere jetzt durch das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft nach den Anschlägen von Paris. Das kann zu einer Situation führen, in der der IS existentiell geschwächt und massiv zurückgedrängt wird. Verliert er Territorium, verliert er auch das Kalifat und damit im Grunde auch die Notwendigkeit, eine Wasserinfrastruktur bereitstellen zu wollen. Gemäss seiner Ideologie befindet sich der IS in einer finalen, apokalyptischen Schlacht, und dazu passen auch Bilder grossflächig überfluteter Gebiete im Irak und in Syrien.

Das Gespräch führte Tina Herren.

Meistgelesene Artikel