SRF News: Beat Stauffer, Sie sind im Moment in Tunesien unterwegs. Was ist noch zu spüren vom Anschlag vergangener Woche?
Beat Stauffer: Man sieht überall Strassensperren. Es sind sehr viele Sicherheitskräfte sichtbar, überall, in den Strassen, in den Städten, vor allem natürlich in Tunis. Allerdings muss man sagen, dass es auch schon vor dem Anschlag immer wieder Terrorwarnungen gegeben hat. Die Bedrohung durch radikal-islamistische Gruppen ist eigentlich ein Dauerzustand.
Die Bedrohung gehört zum Alltag für die Menschen, ist die Verunsicherung nach dem Anschlag grösser geworden?
In den Randregionen, vor allem hier an der algerischen Grenze, wo ich mich gerade befinde, hat sich kaum etwas geändert. Aber in den grossen Städten, vor allem in Tunis, ist die Bedrohungslage deutlich grösser geworden. Man hat mehrere Terrorzellen mit insgesamt 23 Personen ausgehoben. Diese Extremisten hatten Waffen und zum Teil auch Sprengstoffgürtel. Zudem weiss man nicht, ob es noch mehr solcher Zellen gibt. Deshalb ist die Angst sehr gross, dass es weitere Anschläge geben könnte. Das verunsichert die Leute schon sehr stark im Moment.
Wie weit ist der islamistische Extremismus in Tunesien denn generell verbreitet?
Das ist sehr schwer zu sagen. Es gibt einen sehr kleinen, engeren Kreis von potentiellen Tätern. Das sind Hunderte, vielleicht einige Tausend Leute. Aber dann gibt es einen sehr viel weiteren Kreis von Sympathisanten, die sich diesen radikalen Gruppen anschliessen könnten. Zu diesen Sympathisanten gehören sicher Zehntausende. Wie viele es genau sind, weiss niemand so genau. Die grosse Frage ist jetzt: Wie reagieren diese Sympathisanten?
Die Terrormiliz IS hat nach dem Anschlag in Tunis die Verantwortung übernommen. Wie sind die Islamisten in Tunesien denn organisiert und vernetzt?
Der Terrorismus- und Sicherheitsexperte Alaja Allani von der Universität Tunis geht davon aus, dass in Tunesien und im ganzen Maghreb drei grosse dschihadistische Gruppierungen zusammenarbeiten und miteinander vernetzt sind. Zum Teil machen die gleichen Personen in den verschiedenen Organisationen mit. Es ist daher sehr unklar, wer wirklich wo dahinter steht. Neuerdings geht man eher davon aus, dass der al-Kaida-Ableger im Maghreb für den Anschlag verantwortlich ist.
Die Dschihadisten haben angedroht, in Tunesien einen islamischen Staat nach ihren Ideen aufbauen zu wollen. Wie gross ist die Gefahr, dass ihnen das gelingt?
Die Mehrheit der Bevölkerung will auf keinen Fall einen islamischen Staat nach der Vorstellung der Dschihadisten. Aber es braucht nur ein paar Hundert oder Tausend extreme, gewaltbereite Leute, um einem Land riesige Probleme zu bereiten. Sie können einen Staat im Herz treffen, die Wirtschaft zerstören, Chaos erzeugen. In Tunesien haben das die Extremisten in kleinem Ausmass bereits erreicht. Die Regierung hat zwar ganz energisch durchgegriffen gegen diese radikalen, gewaltbereiten Gruppierungen. Ich gehe aber davon aus, dass es durchaus weitere, kleinere Anschläge geben könnte.
Seit dem Anschlag in Tunis ist in Tunesien auch die Angst gross, die Touristen könnten ausbleiben. Kommen schon weniger Gäste ins Land?
Das kann man noch nicht abschätzen. Die Touristensaison hat noch nicht begonnen. Viele Gäste machen im Sommer Badeferien in Tunesien, der Kulturtourismus ist weniger stark ausgebildet. Stark betroffen ist aber im Moment Tunis, weil viele Kreuzfahrtschiffe nicht mehr anlegen.
Das Interview führte Brigitte Kramer